Resilienz im Alter

Resilienz im AlterMartin Staats, Jan Steinhausen (Hrsg.)

Beltz Juventa, Weinheim, Basel, 2021, 312 Seiten, 34,95 €, ISBN 978-3-7799-6317-2

 

Resilienz im Sinne von psychischer Widerstandskraft stellt bei der Bewältigung persönlicher Lebenskrisen seit Jahrzehnten einen Schlüsselbegriff dar, dessen Konzepte darauf verweisen, was Menschen vulnerabel macht und wie die Psyche geschützt werden kann. Davon ausgehend, dass aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse und Krisen die Psyche beeinflussen, es einen Zusammenhang zwischen psychischer Manifestation und sozialer Lage gibt, sich die Situation von bereits vorbelasteten Menschen durch Krisen weiter verschlechtern kann und sich das Versorgungssystem stellenweise als fragil erweist, ist Resilienz bei der Bewältigung von Krisen in allen Lebensphasen von entscheidender Bedeutung.

Das Buch befasst sich mit der Resilienz von älteren und immobilen Menschen, die (nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie) isoliert leben mussten und von Kontaktbeschränkungen und Hospitalisierung betroffen waren. Nach einer Darstellung der psychischen Entwicklung sowie potenzieller psychischer Erkrankungen im Alter folgt eine grundlegende Betrachtung der theoretischen Zugänge und empirischen Erkenntnisse zu Resilienz. Im Hauptteil des Buches werden Resilienz und Gesundheitsförderung aus einer ganzheitlichen Sichtweise dargestellt, die sowohl soziale Beziehungen, Bildung, Achtsamkeit, biographische Bewältigungsstrategien, Biographiearbeit als auch Verhaltensänderungen durch Selbstsorge beinhaltet. Anschließend wird die Resilienz im Alter im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen betrachtet, indem altersgerechte Sozialplanung, die Beziehungen innerhalb von Gemeinschaften und Resilienz als neue Altersnorm beschrieben werden. 

Mit dem Hinweis auf die Biographie als individuellen Lebenslauf können Entwicklungsprozesse über die Lebensspanne sowohl als Ereignis sozialer Normierung bzw. kultureller Konstruktion, als Ergebnis der individuellen Erfahrungen oder als Resultat der selbstgestalteten Entwicklung analysiert werden. Dabei ist es wichtig, die Vulnerabilitätsperspektive (erhöhte körperliche, geistige oder psychische Verletzbarkeit) und die Potenzialperspektive (umfassendes Lebenswissen) miteinander zu verbinden. Die Autoren versuchen, dazu die grundlegende Frage zu beantworten, ob es für ältere Menschen in schwierigen Lebenslagen adäquate medizinische und psychologische Behandlungen sowie soziale Betreuungs- oder Integrationsangebote gibt. Ferner wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese gesellschaftlichen Angebote stigmatisierte Gruppen erreichen und welche verhältnispräventiven Maßnahmen auch bei sozialen Außenseiter*innen greifen.

Die Menge an gerontologischen Publikationen über Resilienz im Alter verdeutlicht den großen Bedarf an analysierten Faktoren und Handlungsmöglichkeiten. So unterschiedlich die einzelnen Beiträge auch sind, lassen sich dennoch drei wesentliche Grundannahmen daraus ableiten. Erstens wird das Alter grundsätzlich als krisenhafte und risikobehaftete Angelegenheit aufgefasst, zweitens lässt sich der individuelle Umgang mit den Herausforderungen des Alters optimieren und drittens verläuft der Prozess der Resilienz vordergründig auf der kognitiven und emotionalen Ebene ab. Damit rücken materielle Lebensbedingungen, Infrastrukturen und Institutionen in den Hintergrund. Die im Buch dargestellten theoretischen Entwürfe verdeutlichen jedoch, dass psychische Gesundheit auch im Alter von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt, da diese die Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Herausforderungen beeinflussen können.

Individuen können zwar die Umstände, in denen sie leben, nur in einem geringen Ausmaß verändern – wohl aber die Art und Weise, wie sie diese bewerten und empfinden. Dazu werden im Buch vier Wege aufgezeigt und kritisch hinterfragt. Erstens die implizite Annahme, das Alter sei eine unvermeidliche Katastrophe, der nur mit einer ausreichenden Resilienz beizukommen sei; zweitens die Weiterentwicklung vom Aktiven zum resilienten Alter; drittens die Idealisierung generationstypischer Vulnerabilität und viertens die Stigmatisierung und Heroisierung älterer Menschen in der Corona Pandemie. Damit sollen u.a. die Fragen beantwortet werden, was ältere Menschen angesichts von Krisen besonders widerstandsfähig macht und wie Resilienz im Alter gestärkt werden kann.

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass sich Resilienz im Alter bei vielfältigen Herausforderungen zeigen kann. Dies gilt sowohl für die Häufigkeit, mit denen ältere Personen mit belastenden Faktoren konfrontiert sind, als auch für adaptierte persönliche Grenzen, die aufgrund häufiger Belastungen verschoben sein und die Bewältigung des Alltags beeinflussen können. Neben den aufgezeigten Bildungsangeboten, welche die resilienzbezogenen Ressourcen bewusst machen, und der Förderung der Achtsamkeit im Alltag betonen die Autoren, dass soziale Interaktionen und Beziehungen wichtige Faktoren im Umgang mit Herausforderungen sind. Dazu werden die vielseitigen Belastungs- und Schutzfaktoren im Buch veranschaulicht, die auch im hohen Alter positiv oder negativ abweichen können. Resilienz als individuelle Stärke kann nur dann zur Widerstandskraft werden – so die Autoren – wenn sie mit den Konzepten der sozialen Umwelt verbunden ist. 

Mit dem Buch wird das altbekannte und vielfach diskutierte Thema Resilienz aufgegriffen, dass auch heute noch ein beliebtes Thema der modernen Psychologie ist. Die komplexen Wechselwirkungen von Belastungs- und Schutzfaktoren werden übersichtlich dargestellt und auf Menschen über dem 65. Lebensjahr übertragen. Vertiefend sind vor allem die Kapitel zur Traumafolgestörung im Alter und zur Altersgerechten Sozialplanung. Das Buch eignet sich somit vor allem als Grundlagenwerk für interessierte Leser*innen, die einen Bezug zu dieser Altersgruppe haben.

Eine Rezension von Jan-Hendrik Ortloff