Geschichte chirurgischer Assistenzberufe von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart

Geschichte chirurgischer Assistenzberufe von der Frühen Neuzeit bis in die GegenwartAnnett Büttner, Pierre Pfütsch (Hrsg.)

Mabuse, Frankfurt a. M. 2022, 284 Seiten, 39,95 €, ISBN 978-3-86321-527-9

 

Zur Geschichte der Medizin gehört auch die Geschichte der sogenannten „Assistenzberufe“, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert haben. Im vorliegenden Buch gehen die Autor*innen in sieben Beiträgen der Entwicklung solcher Berufe im Zusammenhang mit der Chirurgie nach.

Die Herausgeber*innen Annett Büttner, Historikerin und Archivarin aus Düsseldorf und Pierre Pfütsch, Historiker am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, möchten damit einen Beitrag zur Geschichte der Spezialisierung der Gesundheitsberufe in der chirurgischen Assistenz leisten. Die ausgewählten Kapitel des Buches decken dabei einen Zeitraum von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart ab. Ergänzt werden die Kapitel um einen Quellenteil von 100 Seiten.

Marcel Korge, Historiker an der Universität Leipzig, geht auf die Assistenten und Assistentinnen der frühneuzeitliche Handwerkschirurgen ein. Er erläutert anhand von Archivmaterial mit dem Schwerpunkt Leipzig die differenzierten Regelungen und Restriktionen der Tätigkeiten durch die Zünfte, die sich auch auf die Handwerkschirurgen bezogen. Erst in den folgenden Jahrhunderten übernahmen akademisch gelehrte Ärzte bzw. Ärztinnen dann eine stärkere Rolle - z. B. bei den Prüfungen - bis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann Chirurg*innen auch ein Medizinstudium abgeleistet haben mussten.

Ein Beitrag von Horst-Peter Wolff und Jutta Wolff, der bereits 2008 veröffentlicht wurde, ergänzt diese Ausführungen um die Geschichte der Chirurgiegehilfen und Wundärzte. Die relativ kurze Geschichte der „Heilgehilfen“, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Wundärzte bzw. Chirurgen unterstützten, wird hier ebenfalls aufgegriffen.

Annett Büttner und Pierre Pfütsch schließen sich mit einem Beitrag zur Entwicklung der chirurgischen Assistenz im 19. Jahrhundert an. Dabei arbeiten sie heraus, dass zunehmend Aufgaben von den Krankenpflegenden übernommen wurden und die Entwicklung der Diakonissenpflege (ab 1836) hier eine besondere Rolle spielte. Die Professionalisierung der spezialisierten Pflege im Operationsbereich wurde von den Medizinern1 vorangetrieben. Am Ende des 19. Jahrhunderts lag die chirurgische Assistenz dann weitgehend bei den Krankenschwestern/ -pflegern. Die Ausbildung erfolgte praktisch und anhand von Lehrbüchern, die von Ärzten geschrieben wurden.

Bettina Schmitz, Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für den Operationsdienst und Pflegepädagogin (B.A.), beschäftigt sich im Anschluss mit der neueren Geschichte im 20. Jahrhundert und erläutert die Entwicklung von der „chirurgischen Schwester“ zur „Operationsschwester“. Dabei geht sie besonders auf die Rolle der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein, die 1971 eine Regelung für die Weiterbildung erließ, die für die nächsten Jahrzehnte den Standard vorgab.

Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich mit Berufsgruppen, die sich nicht der Krankenpflege zuordnen lassen. So geht Natalie Wulf, Operationstechnische Assistentin und Pflegepädagogin (B.A.) am Niels Stensen Bildungszentrum Osnabrück, auf die letzten Jahrzehnte ein. Dabei thematisiert sie die Entwicklung von dem*der OP-Fachpfleger*in zum*r Operationstechnischen Assistenten*in mit dem Schwerpunkt auf die Entwicklung bis zum ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Im letzten Beitrag widmet sich Johanna Türk, (B.sc.) Medizinische Assistentin in der Chirurgie der LVR-Klinik für Orthopädie in Viersen, der Akademisierung der chirurgischen Assistenz, die zurzeit noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Im Vordergrund stehen hier Fragen der Delegation ärztlicher Tätigkeiten und die unklare rechtliche Situation.

Der Ausgangspunkt bei Büttner und Pfütsch ist der Pflegeberuf.  So heißt es auf S. 10, bei den Beiträgen handele es sich um Spezialisierungen „innerhalb der Pflege“. Eine theoretische Rahmung wurde bewusst nicht vorgenommen (S. 10), trotzdem stellt sich für die Leser*innen hier die Frage, ob die Ausbildung zum*r Operationstechnischen Assistenten*in (OTA) und zur chirurgischen Assistenz Spezialisierungen innerhalb des Pflegeberufs sind oder nicht. Wird der Pflegeberuf mit diesen Qualifikationsansätzen wieder zu einem (chirurgischen) Assistenzberuf? In wieweit kann die bewusste Ablehnung einzelner rechtlich strittiger Aufgaben (z. B. Narkosen) auch ein Kennzeichen von Professionalisierung sein? Und wäre dann nicht auch die Anästhesie innerhalb der Medizin als chirurgischer Assistenzberuf einzuordnen? 

Die Ausführungen von Büttner und Pfütsch weisen darauf hin, dass es wünschenswert wäre, wenn sich weitere Forscher*innen finden würden, die diese Fragen aus professionstheoretischer Sicht bearbeiten und ergänzen. Auch sollten sich Zeitzeugenstudien anschließen. Sowohl pflegerisch als auch ärztlich Tätige der 1950-er und 1960-er Jahre leben noch und könnten gut über ihre erlebte Praxis berichten - die sich sicherlich häufig anders darstellt als in den schriftlichen Quellen. 

Das Buch richtet sich an eine breite Leser*innenschaft. Die verschiedenen Kapitel bieten eine gute Einführung in die Geschichte der chirurgischen Assistenz. Hervorzuheben ist auch der angehängte Quellenteil, der die verschiedenen Jahrhunderte abdeckt und nicht nur für historisch Interessierte einen schnellen Zugriff auf relevante Texte erlaubt - sondern sich auch hervorragend für den Einsatz in der Lehre eignet.

Eine Rezension von Mathilde Hackmann


1 Es gab zu diesen Zeiten nur männliche Vertreter dieses Berufsstandes