Eine Gruppe von Forschenden aus dem Bereich der Pflegewissenschaft wurde für ihre wegweisenden Arbeiten mit dem Wissenschaftspreis des EbM-Netzwerks 2024 ausgezeichnet. Die Auszeichnung gilt zwei Cochrane Reviews, die sich mit Interventionen zur Reduktion von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) sowie von Antipsychotika in der Langzeitpflege von älteren Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder demenziellen Erkrankungen befassen. Diese Arbeiten wurden als äußerst bedeutsam für die Verbesserung der Versorgungsqualität älterer Menschen gewürdigt.
Mit der steigenden Zahl älterer Menschen weltweit geht eine Zunahme von Personen mit demenziellen Erkrankungen einher, was die Betreuung und Pflege dieser Bevölkerungsgruppe zu einer großen Herausforderung macht. Freiheitsentziehende Maßnahmen wie Bettgitter oder Fixiergurte sowie der Einsatz von Antipsychotika sind in der Pflege von Menschen mit Demenz häufig anzutreffen, um Stürze zu vermeiden oder herausforderndes Verhalten zu kontrollieren. Allerdings sind beide Maßnahmen umstritten, da sie oft nicht die angestrebten Ziele erreichen und negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen haben können.
Die Forschungsgruppe unter der Leitung von Ralph Möhler (Institut für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Universitätsklinikum Düsseldorf), Gabriele Meyer (Universität Halle/Wittenberg) und Sascha Köpke (Universität Köln) hat sich in ihren Cochrane Reviews intensiv mit der Wirksamkeit von Interventionen zur Reduktion von FEM bzw. von Antipsychotika bei älteren Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen auseinandergesetzt.
Im ersten Review wurden 11 Studien mit 19.000 Menschen mit Demenz analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass organisationsbezogene Interventionen, die darauf abzielen, die Anwendung von FEM zu reduzieren, wahrscheinlich positive Effekte haben, während edukative Interventionen ohne organisatorischen Ansatz keinen Nutzen zu haben scheinen.
Im zweiten Review wurden fünf Studien mit rund 8.300 Teilnehmenden untersucht. Die heterogenen Ergebnisse und die unvollständige Berichterstattung über die komplexen Interventionen führten jedoch zu dem Schluss, dass es keine ausreichende Evidenz für eindeutige Schlussfolgerungen gibt.
Die Laudatorin Cordula Braun (Ko-Sprecherin des Fachbereichs Gesundheitsfachberufe im EbM-Netzwerk) betonte die hohe Relevanz der beiden systematischen Reviews für die Versorgung älterer Menschen mit Demenz. Sie lobte die sorgfältige Durchführung der Arbeiten nach den hohen methodischen Standards von Cochrane und hob hervor, dass diese über die üblichen Standards für systematische Reviews hinausgingen. Die Auszeichnung mit dem David-Sackett-Preis würdigt nicht nur die Qualität der Forschungsarbeiten, sondern auch die langjährige Forschungsaktivität der Gruppe in diesem hochrelevanten Themenbereich.
Mit dem David-Sackett-Preis ausgezeichnete Cochrane Reviews:
Möhler R, Richter T, Köpke S, Meyer G. Interventions for preventing and reducing the use of physical restraints for older people in all long-term care settings. Cochrane Database Syst Rev 2023;(7):CD007546
Lühnen J, Richter T, Calo S, Meyer G, Köpke S, Möhler R. Psychosocial interventions for reducing antipsychotic medication in care home residents. Cochrane Database Syst Rev 2023;(8):CD008634
Zur Pressemitteilung: https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/nachrichten/sackett-preis-2024-preisverleihung
Foto: Stella Calo, Julia Lühnen, Ralph Möhler, Gabriele Meyer, Sascha Köpke (v.l.n.r.) (c) EbM-Netzwerk
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