Think Tank Vorbehaltsaufgaben zum Pflegekompetenzgesetz: „Pflege darf immer noch nicht alles, was sie kann!“

Stellungnahme zum PflegekompetenzgesetzDer Think Tank Vorbehaltsaufgaben (TT VA) hat eine Stellungnahme zum aktuellen Gesetzentwurf des Pflegekompetenzgesetzes veröffentlicht. In dieser begrüßt der Think Tank die neuen Regelungen, die die Eigenständigkeit der beruflichen Pflege stärken sollen, weist jedoch gleichzeitig auf offene Handlungsfelder hin. Der Think Tank nimmt zudem zu den im Entwurf enthaltenen Reformvorschlägen des SGB XI Stellung, wie etwa zur Flexibilisierung von Pflegeleistungen, zur Stärkung kommunaler Netzwerke und Unterstützungsstrukturen sowie zu planerischen Elementen.

Professor Thomas Klie, Initiator des TT VA, betont dabei: „Pflege darf nach dem vorliegenden Gesetzentwurf leider immer noch nicht alles, was sie kann! So soll die erweiterte Heilkundeausübung durch Pflegende zukünftig weiterhin unter Vorbehalt ärztlicher Diagnostik und Indikationsstellung bleiben. Da schwingt hierzulande ein unverständliches Grundmisstrauen gegenüber pflegerischer Kompetenz mit. Wir hätten uns vom Gesundheitsminister noch mehr Mut in Richtung pflegerischer Eigenständigkeit und ärztlicher Entlastung gewünscht. Gleichwohl sehen wir, dass es gelungen ist, einige wichtige „Vorstöße“ in Richtung Stärkung der eigenständigen Rolle der beruflichen Pflege im Leistungsrecht zu verankern.“

Der Think Tank sieht in den neuen Regelungen des Pflegekompetenzgesetzes einen bedeutenden Fortschritt. Insbesondere wird positiv hervorgehoben, dass die seit 2020 den Pflegefachpersonen vorbehaltenen Aufgaben nun auch im Leistungsrecht, sowohl im SGB XI als auch im SGB V, verankert werden. Besonders wichtig ist hierbei die Einführung des § 15a im SGB V, der die Pflegeprozesssteuerung als exklusive Aufgabe der Fachpflege bestätigt und sie in Zusammenhang mit heilkundlichen und erweiterten heilkundlichen Aufgaben stellt. Zudem begrüßt der Think Tank, dass der Gesetzgeber im § 4 des Pflegeberufegesetzes die Pflegeplanung explizit als Vorbehaltsaufgabe festlegt und im neuen § 4a klarstellt, dass Pflegefachpersonen bereits heute zur eigenständigen Heilkundeausübung befugt sind.

Professor Andreas Büscher, Mitglied des TT VA, hebt hervor: „Es ist gut, dass der Gesetzentwurf vorsieht, die bisherige thematische Engführung bei der erweiterten Heilkundeausübung zu überwinden und zugleich auch den berechtigten Personenkreis stets in Bezug auf die erworbenen Kompetenzen erweitert. Wir sehen allerdings nicht nur in diesem Zusammenhang einen gesteigerten Bedarf nach unabhängiger pflegewissenschaftlicher Kompetenz, die auch maßgeblich, frühzeitig und verbindlich in die Entwicklung zukünftiger Konzepte und Regelungen zur erweiterten Heilkundeausübung einbezogen wird.“  Zu den im Pflegekompetenzgesetz diskutierten Konzepten und Modellvorhaben zählt unter anderem die Entwicklung eines sogenannten „Scope of Practice“. Dabei handelt es sich um klar definierte Aufgabenbereiche, die speziell für eine Berufsgruppe festgelegt und von dieser fachkundig und verantwortungsvoll ausgeführt werden können. Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Einbindung von Pflegefachpersonen, die direkt in der Versorgung tätig sind, in die Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit.

Kritisch werden vom TT VA die neuen Regelungen zu gemeinschaftlichen Wohnformen gesehen. Klie erläutert: „Hier wird faktisch ein dritter Sektor begründet, was keinen Sinn macht und vor allen Dingen dazu führen wird, dass die Vielfalt neuer Wohnformen und Pflegearrangements sowie innovative Ansätze behindert werden. Es ist eine Art Qualitätskontrollbedürfnis des Gesetzgebers herauszulesen. Verlierer der Regelungen sind ambulant betreute Wohngemeinschaften, die faktisch nochmals in eine nachteiligere Stellung gebracht werden!“ Der Think Tank sieht in diesem Bereich dringenden Handlungsbedarf, insbesondere durch eine Anhebung des Wohngruppenzuschlags. Ohne diese Anpassung sind die in Deutschland beliebten und von der Zivilgesellschaft unterstützten Wohngemeinschaften in ihrer Existenz bedroht.

Ausgesprochen begrüßt wird in der Stellungnahme die Öffnung der Präventionsleistungen für die häusliche Pflege sowohl für Pflegebedürftige als auch pflegende Angehörige. Professor Frank Weidner, Mitglied des TT VA hebt hervor: „Das ist eine gute Nachricht, denn die hier statuierte aktive Rolle der Pflegefachpersonen, aber auch des Medizinischen Dienstes sind richtig. Dadurch wird u.a. das Profil der beruflichen Pflege als handlungsstrategisch auch gesundheitsförderlich und präventiv ausgerichtete Disziplin aufgegriffen und gestärkt.“

Die Stellungnahme des TT VA ist abrufbar unter https://www.vorbehaltsaufgaben-pflege.de sowie unter https://www.dip.de


Der TT VA arbeitet als interdisziplinärer Arbeitskreis seit Anfang 2021 und besteht aus Pflegewissenschaftler:innen, Juristen sowie pflegeerfahrenen Expert:innen. Neben dem Initiator Prof. Dr. habil. Thomas Klie arbeiten im Think Tank Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Büscher, Bianca Jendrzej, Bernhard Krautz, Prof. Dr. Erika Sirsch, Prof. Dr. Frank Weidner sowie Prof. Dr. Thomas Weiß und gelegentlich weitere Expert:innen mit. Informationen und Hinweise auf Publikationen zum TT VA unter www.vorbehaltsaufgaben-pflege.de; Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Das DIP-Institut ist eine seit Jahrzehnten etablierte, unabhängige Forschungseinrichtung an der Katholischen Hochschule NRW (katho). Das Institut entwickelt, konzipiert, implementiert und evaluiert innovative Ansätze und Konzepte für Bildungs-, Versorgungs- und Steuerungsfragen der Pflege für Einrichtungen, Organisationen und die Politik.


Zur Pressemitteilung: https://www.dip.de/fileadmin/data/pdf/Pressemitteilungen_Institut/PM_DIP_TT-Stellungnahme_RefE-PKG_240923.pdf

Foto: stock.adobe.com – stokkete

 

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