Stefanie Scholz & Jürgen Zerth (Hrsg.)
Versorgung gestalten in vulnerablen Lebenslagen
Kohlhammer, Stuttgart, 2024, 196 Seiten, 49,00 €, ISBN: 978-3-17-044947-3 (Print), 43,99 €, ISBN: 978-3-17-044948-0 (e-Book)
Spätestens seit der COVID-19-Pandemie erhält die Versorgung von Menschen in vulnerablen Lebenslagen vermehrte Aufmerksamkeit. Es wird nach Wegen gesucht, um Zugang zu ihnen zu finden, um den Menschen selbst den Zugang ins Versorgungssystem zu erleichtern und es besteht die Herausforderung, spezifische professionelle Konzepte zur Deckung der jeweiligen Bedarfe und Bedürfnisse zu entwickeln.
Das Team der Herausgebenden besteht aus Stefanie Scholz, Professorin für Data Science in Social Economy an der SRH Wilhelm Löhe Hochschule Fürth sowie Jürgen Zerth, Professor für Management in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Der Sammelband setzt sich aus elf Beiträgen zu unterschiedlichen Zielgruppen zusammen: Pflegebedürftige Kinder, junge Erwachsene unter 25 Jahren, ältere geflüchtete Menschen, Menschen am Lebensende, Menschen mit psychischen Erkrankungen, mit Behinderungen, mit Querschnittlähmung oder auch beatmete Menschen in der außerklinischen Intensivpflege – dies sind nur einige Beispiele für Situationen und Lebenslagen, in denen man vulnerabel ist oder werden kann und dann auf besondere und oftmals zugeschnittene Versorgung angewiesen ist.
Die Beiträge bestehen aus dargestellten Literaturrecherchen, Projektberichten zu abgeschlossenen und teilweise noch laufenden Projekten und theoretischen Beiträgen. Die Fragestellungen der Beiträge adressieren die Erforschung spezifischer Bedarfe einer Zielgruppe (z. B. wie Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren eine Online-Suizidpräventions-Beratung nutzen und erleben), analysieren Chancen und Grenzen leistungsrechtlicher Strukturen (z. B. die Unterstützungsstrukturen für Kinder mit Pflegebedürftigkeit nach SGB XI), und informieren über Stigmatisierung und Ausgrenzung (z. B. Einstellungen und Vorurteile von Professionellen im Kontakt mit Menschen mit psychotischer Erkrankung). Weitere Beiträge beschäftigen sich mit gesundheitsökonomischen und betriebswirtschaftlichen Analysen (z. B. zur Auswirkung von Adherence-Programmen durch eine Krankenversicherung zur Verbesserung der Lebensqualität).
Durch die Auswahl dieser versorgungspraktischen und -relevanten Themen sind die einzelnen Beiträge hochaktuell und vermitteln einen Eindruck über regionale und bundesweite Ansätze. Mit der Vielfalt der Beiträge werden diverse Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung adressiert. So liegt ein Fokus auf der Psychologie und Psychotherapie, auf der professionellen Pflege, der Sozialen Arbeit, der Heilpädagogik und der Medizin. Durchweg betonen die Autor*innen in ihren Beiträgen explizit und implizit eine bestehende und weiter auszubauende Interprofessionalität, um Menschen in vulnerablen Lebenslagen niedrigschwellig zu erreichen und den Zugang zu ihnen kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Wie schwierig das durch gesetzliche Regelungen oder auch verteilte Zuständigkeiten im Einzelfall ist, wird an mehreren Stellen sehr deutlich. Durch diesen starken Praxisbezug lesen sich die Beiträge überzeugend, augenöffnend und anschaulich. Sie machen das Ausmaß der Analysen und Problematik sehr gut verständlich und nehmen die Leserschaft mit in die jeweiligen Herausforderungen für die Versorgungsgestaltung im Hinblick auf Menschen in vulnerablen Lebenslagen.
Wünschenswert wäre eine moderierende oder zusammenfassende Einordnung der einzelnen Beiträge gewesen, um die unterschiedlichen Fragestellungen und Vielfalt der Perspektiven zu diskutieren und in eine Abschlussbetrachtung zu überführen. Zwar firmieren alle Beiträge unter dem Anspruch, dass Versorgung in vulnerablen Lebenslagen gestaltet werden soll, doch durch die Offenheit kommt es auch dazu, dass die Argumente einzelner Beiträge zu Kultur und Wertediskussion auch widersprüchlich erscheinen können. Anschlussfähig wäre in diesem Zug auch eine Klärung des Begriffs der Vulnerabilität gewesen, der anthropologisch gesehen auch andere Konsequenzen nach sich ziehen kann als die allgemein geläufige und hier genutzte Attribution von Vulnerabilität an bestimmte Menschen und Lebenslagen. Die betrachteten Zielgruppen werden im Buch sensibel als in vulnerablen Lebenslagen seiend beschrieben, werden jedoch im täglichen Diskurs auch unter der Zuschreibung ‚vulnerable Gruppen‘ subsummiert. Es besteht die Gefahr, dass daraus paternalistisch geprägte Gesundheitsversorgung durch Professionelle entsteht, um diese ‚vulnerablen Gruppen‘ vor spezifischen Risiken zu schützen, wie auch während der COVID-19-Pandemie immer wieder sichtbar wurde. Der Anspruch, auch die Bedürfnisse der Menschen selbst in die Gestaltung der Versorgung einzubeziehen, wird in den einzelnen Beiträgen immer wieder deutlich.
Insgesamt ist das Buch ansprechend, sehr gut verständlich und mit starker Anlehnung an die Versorgungspraxis geschrieben. Die unterschiedlichen Perspektiven und Ansätze vermitteln ein gutes Verständnis über die momentanen Denkansätze, Strukturen und gesetzlichen Regelungen zur Unterstützung, aber auch über die Herausforderungen innerhalb der gesetzlich fundierten Versorgung oder im Umgang mit Menschen in vulnerablen Lebenslagen. Es richtet sich somit fachlich an alle Berufsgruppen in der Gesundheitsversorgung, aber hinsichtlich ökonomischer und strategischer Analysebeiträge auch an Führung und Management von Kommunen und Institutionen. Klare Leseempfehlung!
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