Demenz im Quartier – Ehrenamt und Sozialraumorientierung für das Alter

demenz im quartier ehrenamt und sozialraumorientierung für das alterReimer Gronemeyer, Martina Ritter, Oliver Schultz, Jutta Träger (Hg.)
Demenz im Quartier
Ehrenamt und Sozialraumorientierung für das Alter

Transcript Verlag, Bielefeld, 2022, 175 Seiten, 30,- €, ISBN: 978-3-8376-5795-1

Wie steht es mit der ehrenamtlichen Versorgung von Menschen mit Demenz in unterschiedlichen Quartieren in Deutschland? 

Dieser Frage gehen die Autor:innen des Buches „Demenz im Quartier: Ehrenamt und Sozialraumorientierung für das Alter“ nach. In verschiedenen hessischen Quartieren nahmen sie das ehrenamtliche Engagement für Menschen mit Demenz in den Fokus und erforschten lokale Unterstützungsangebote und mögliche Versorgungslücken.

Das 2022 im Transcript-Verlag veröffentlichte Buch wurde von Prof. Dr. Reimer Gronemeyer, Prof. Dr. Martina Ritter, Dr. Oliver Schultz und Prof. Dr. Jutta Träger herausgegeben, deren Forschungsfokus die Soziologie und Sozialraumforschung ist. Es erschien in der Reihe „Aging Studies Volume XXI“, die von Heike Hartung, Ulla Kriebernegg und Roberta Maierhofer herausgegeben wird. Kordula Röckenhaus und Walter Wittig konzipierten den ansprechenden Buchumschlag. Die einzelnen Kapitel wurden von den Herausgeber:innen, sowie den weiteren Autoren, Jonas Metzger, Wolfgang Stadel und Christopher Groß, verfasst. 

Das im Buch beschriebene Forschungsprojekt wurde vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration gefördert und von der Stiftung der Hessischen Diakonie DiaDem unterstützt.

Im ersten Teil des Buches reflektieren die Autor:innen über das Thema Sozialraumorientierung und leiten für das Projekt wichtige Kernbegriffe ein. Im zweiten Teil beschreiben sie die Forschungsergebnisse und den Beitrag des Ehrenamtes.

Jonas Metzger beleuchtet im ersten Kapitel, wie Forschung zur Sozialraumorientierung den Blick auf die Lebenswelten der Menschen in ihrem Alltag hervorheben kann. Aus Gesprächen mit Ehrenamtlichen leitet er vier Perspektiven für den Umgang mit dem Alter(n) ab: 1) die Unterschiedlichkeit wahrzunehmen (z. B. lokale Besonderheiten in den Quartieren zu berücksichtigen); 2) Verantwortung zu teilen (z. B. Zusammenarbeiten zwischen verschiedenen Akteur:innen in den Quartieren zu fördern); 3) Bürgerschaftliches Engagement zu flankieren (z. B. nachbarschaftliches Engagement mit hauptamtlichen Leistungen zu verbinden) und 4) Verletzlichkeit zuzulassen (z. B. Strukturen zu schaffen, die Menschen die Hilfe benötigen, darin zu unterstützen, diese Angebote anzunehmen). 

Martina Ritter und Wolfgang Stadel richten im zweiten Kapitel den Blick darauf, dass eine Beteiligung und die Teilhabe der Bevölkerung über partizipative Methoden die Gestaltung demenzfreundlicher Kommunen unterstützen. Im ländlichen Raum entstehen z. B. vielfältige, von Bürger:innen selbst organisierte Initiativen, weil diese einen Beitrag für den eigenen Lebensort leisten möchten. Über partizipative Forschungsmethoden können dabei auch Personen, die bisher eher exkludiert wurden, in die Gestaltung demenzfreundlicher Kommunen eingebunden werden.

Jutta Träger schaut im dritten Kapitel auf die Forschungsmethoden zur Sozialraumanalyse in städtischen Gebieten. Indem Sozialräume auch durch menschliche Beziehungen entstehen, sind Stadtteile nicht nur geographisch festgelegte Quartiere. Sie sind ebenso Aktions- und Wahrnehmungsräume. Um diese subjektiven Wahrnehmungen und Handlungsmuster zu ermitteln, eignen sich z. B. Stadtteilerkundungen, subjektive Landkarten oder partizipative Forschungsmethoden, welche die Lebenswelt der Bewohner:innen möglichst realitätsnahe abbilden können. 

Im zweiten Teil des Buches gibt das Kapitel von Oliver Schultz  zunächst eine Einführung in den Aufbau des Forschungsprojekts. Über partizipative Methoden wurden Ehrenamtliche eingebunden, gemeinsam mit den Forscher:innen in den verschiedenen Quartieren über die ehrenamtliche Versorgungspraxis für Menschen mit Demenz zu reflektieren. Zu Beginn stand eine Sozialraumanalyse, gefolgt von Expert:innen-Interviews, Workshops mit Akteur:innen, Rückkopplungsworkshops und einem überregionalen Abschluss des Forschungsvorhabens, aus dem Handlungsempfehlungen folgten. Die Ergebnisse werden zunächst von Martina Ritter und Wolfgang Stadel am Beispiel des ländlichen Raumes, dann von Oliver Schultz am Beispiel eines kleinstädtischen Quartieres; und schließlich von Jutta Träger und Christopher Groß für den städtischen Raum beschrieben. Jonas Metzger präsentiert Forschungsergebnisse aus den überregionalen Workshops, bevor Oliver Schultz die Bedeutung des Ehrenamtes für die Versorgung von Menschen mit Demenz hervorhebt. 

Großartig an dem Buch ist die leicht zugängliche Sprache, die komplexe Inhalte verständlich und praxisnahe aufbereitet, ohne dabei Gefahr zu laufen, in theoretische Grundsatzdebatten zu verfallen. 

Zu loben sind auch die partizipativen Forschungsansätze, die (trotz der Pandemie) gemeinsame Reflexionsräume und einen Kontakt auf Augenhöhe erleichterten. Den Autor:innen gelingt es, die Forschungsergebnisse mit einem angemessenem wissenschaftlichem Abstand, einer kritisch reflektierenden Auswertung und dennoch einfühlsam und nahe am Material darzustellen. Obschon einige Themen im internationalen Forschungsdiskurs bereits diskutiert wurden, ist es gerade der eng gefasste Fokus auf der ehrenamtlichen Versorgung von Menschen mit Demenz, der gute Impulse für unterschiedliche Quartiere in Deutschland und für die Sozialraumforschung geben kann. 

Die Details aus den Forschungsergebnissen, aber auch die jeweilige Einordnung der Ergebnisse ein eine übergeordnete Reflexion, ohne Leser:innen dabei zu überfrachten, sind sehr gelungen. Wünschenswert wären zusätzliche, den Text auflockernde graphische Darstellungen in jedem Kapitel gewesen. Einige Gedanken wiederholen sich; dies hat aber den positiven Effekt, dass die Kapitel auch einzeln gut gelesen werden können. 

In der Frage, wie es mit den ehrenamtlichen Versorgungsstrukturen nun weitergeht, bleibt das letzte Kapitel jedoch offen. Einerseits ist ein Fazit am Ende des Buches auch nicht unbedingt nötig, da in den vorherigen Kapiteln bereits vielfältige Impulse detailliert diskutiert wurden. Anderseits könnte dieser Abschluss, davon ausgehend, dass dieser bewusst offen gewählt wurde, aber andeuten, dass nun weiter an den Themen gearbeitet werden könnte; und zwar mit den Beteiligten und mit der Unterschiedlichkeit. An dieser Stelle schließt das letzte Kapitel also elegant den Bogen zum ersten Kapitel – und so wäre es möglich, dort wieder mit dem Lesen anzufangen und beim zweiten Lesen vielleicht weitere Resonanzräume und Impulse zu finden. 

Im Fazit ist den Autor:innen mit diesem Buch gelungen, ein sehr lesenswertes Buch zu einem höchst aktuellen Thema zu verfassen. Leser:innen, die sich für das Thema Demenz und Quartier interessieren, können vielfältige Einblicke in die aktuelle Sozialraumforschung zum Thema ehrenamtliche Versorgung von Menschen mit Demenz bekommen. Schön, dass dieses Buch zu neuen Wegen einlädt.

Eine Rezension von Dr. Saskia Kuliga