Gweneth Moulster, Jane Iorizzo, Sarah Ames, Joshua Kernohan (Hrsg.), deutschsprachige Ausgabe bearbeitet und herausgegeben von Sylke Werner
Menschen mit geistiger Behinderung pflegen und fördern
Das Moulster-Griffiths-Modell für die Behindertenpflege
Hogrefe-Verlag, Bern, 2021, 240 Seiten, 32,95 €, ISBN 978-3-456-86058-9, 1. Auflage
Die Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen ist ein wichtiges Aufgabenfeld von Pflegefachpersonen. Neben der ambulanten oder stationären Versorgung, pädagogischen Unterstützungsangeboten sowie der vollen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedürfen Menschen mit geistigen Behinderungen pflegerischer Unterstützungsangebote. In der Praxis kann es dann zu verschiedenen Fragestellungen kommen: Welche speziellen Bedürfnisse liegen vor? Wie können sie kompensiert und gleichzeitig vorhandene Ressourcen gefördert werden? Kurzum: Wie pflegt man Menschen mit geistigen Behinderungen? Eine Antwort gibt das Moulster-Griffiths-Modell für die Behindertenpflege. Auch wenn das Wort Behindertenpflege nicht zeitgemäß wirkt, bietet das Fachbuch elementares und aktuelles Wissen für Theorie und Praxis. Ausgehend von Grundelementen des Pflegeprozesses wird dieser in dem vorliegenden Buch zugespitzt auf Menschen mit geistigen Behinderungen hin ausgerichtet. Auch wenn das ursprüngliche Buch aus dem britischen Sprachraum kommt, wurden rechtliche und pflegetheoretische Inhalte in der deutschsprachigen Ausgabe angepasst.
Die Herausgeber*innen des vorliegenden Buches verfügen über eine hohe Expertise im Feld geistiger Behinderungen. Gwen Moulster, als eine der Namensgeberinnen des Modells, ist unter anderem als Independent Consultant Nurse tätig und verfügt über praktische Erfahrungen mit Menschen mit geistigen Behinderungen. 2016 erhielt sie für ihre Leistungen in der Pflege und die Arbeit mit Menschen mit geistigen Behinderungen eine Auszeichnung der Queen. Auch Jana Iorizzo verfügt über praktische Erfahrung mit Kindern und Erwachsenen mit geistigen Behinderungen. Unter anderem ist sie in der palliativen Begleitung sowie in der Gemeindepflege tätig. Als Expertin trug sie zur Implementierung des Modells in verschiedenen Settings bei. Sarah Ames ist im Management einer Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen tätig. Sie unterstützt unter anderem die Einführung des Konzepts innerhalb verschiedener Einrichtungen. Joshua Kernohan verfügt über praktische Kenntnisse zur Pflege der speziellen Zielgruppe. Er trug zur Evaluierung des Modells bei und wurde bereits mit diversen Preisen ausgezeichnet.
Das vorliegende Buch ist eine Mischung aus Lehr- und Fachbuch. Es beschreibt in einzelnen Kapiteln wesentliche Inhalte, bietet gleichzeitig Verständnisfragen, Fallbeispiele und weiterführende Literaturhinweise. Die philosophische Grundhaltung hinter dem Moulster-Griffiths-Modell ist orientiert an den Grundgedanken des Empowerments. Menschen mit geistigen Behinderungen sollen lernen, eigenständig gute Entscheidungen für ihr Leben zu treffen
Insgesamt verfügt das Buch über vier separierte Teile mit eigenen Unterkapiteln. Nach einem Einführungskapitel, welches die Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen als Mischung aus Kunst und Wissenschaft beschreibt, wird in einem weiteren Kapitel das Moulster-Griffiths-Pflegemodell beschrieben. Wesentliche Grundbegriffe wie Pflegeprozess, Pflegemodelle oder Screening-Tools werden in den einzelnen Kapiteln erläutert. Das Buch verfügt über 14 Kapitel mit jeweils unterschiedlichen thematischen Überschriften. Es geht u. a. um das „Person-zentrierte Assessment“, „Planung, Implementierung und Evaluation einer reflexionsfokussierten Pflegebetreuung“ sowie Erfahrungsberichte. Die Überschriften wirken modern und machen neugierig. Besonders hervorzuheben ist, dass von Grundlagenbegriffen über vertiefendes Fachwissen, Erfahrungsberichte bis zu Tipps zur praktischen Implementierung des Modells sämtliche Inhalte ansprechend aufbereitet dargestellt werden.
In der Fachwelt werden fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse zur Pflege von Menschen mit Behinderungen beklagt. Unter anderem fehle es an Modellen. Das Nebeneinander von Eingliederungshilfe und Pflege kann zu stark pädagogisierten Ansätzen in der stationären und ambulanten Behindertenhilfe beitragen. Somit kommt das vorliegende Buch zur richtigen Zeit, um den Wissenskanon in der Praxis, aber auch wissenschaftliche Zugänge in der Theorie zu erweitern.
Das Ziel der Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen, welches in dem vorliegenden Buch genannt wird, lautet „Eine auf die Person des behinderten Menschen ausgerichtete Pflege und Betreuung, die auf komplexe Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen, ihren Angehörigen und Bezugspersonen eingeht und gute Versorgungsergebnisse erzielt“. Das vorliegende Buch sowie das Moulster-Griffiths-Modell bieten sämtliche Inhalte, um das Ziel in der Praxis zu erreichen. Spannende Inhalte, praktische Beispiele sowie verständliche Abbildungen machen es leicht zu verstehen, worum es in den einzelnen Kapiteln geht. Dabei sind die Inhalte hochaktuell. Immer wieder wird auf weitere Modelle und Konzepte verwiesen, die zu einem vertiefenden Verständnis beitragen und gleichzeitig die Pflege von Menschen mit geistigen Behinderungen nie isoliert betrachten, sondern immer in einen größeren Kontext einführen. Exemplarisch zu nennen sind Gordons funktionelle Gesundheitsverhaltensmuster.
Die grafischen Darstellungen sind entweder als Tabelle oder Abbildung vorhanden. Sie ergänzen die geschriebenen Inhalte sinnvoll. Die Übersichtlichkeit des Buches ist einerseits durch die beschriebene Kapitelstruktur, aber auch durch grafische Gestaltung gegeben. Es existieren Kästchen für Lernaktivitäten und Fallbeispiele.
Ein Vergleich zu anderen Publikationen kann nur schwer getroffen werden. Es existieren zwar Bücher und Artikel zum Thema, aber das Buch „Menschen mit geistiger Behinderung pflegen und fördern. Das Moulster-Griffiths-Modell für die Behindertenpflege“ ist in Art und Form einmalig. Ein Buch, welches gleichzeitig Grundlagen, vertiefende Kenntnisse als auch den Pflegeprozess als Rahmenmodell verwendet ist kein zweites Mal vorhanden.
Eine klare Leseempfehlung für Praktiker*innen im erweiterten Feld der Behindertenhilfe, pflegerische Mitarbeitende in besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe und in ambulanten Pflegediensten – also alle Personengruppen, welche Menschen mit geistigen Behinderungen in Einzelwohnungen oder Wohngemeinschaften versorgen. Das Buch bietet wertvolle Hinweise sowie ein praktisches Rahmenmodell, nach welchem die pflegerischen Maßnahmen erbracht, transparent dokumentiert sowie evaluiert werden können. Das Buch ist weiter interessant für pädagogische Mitarbeitende des Settings, um die professionelle Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen zu stärken.
Eine Rezension von Roman Helbig, M.A.