Modelle und Theorien in der Pflege

modelle und theorien in der pflegeSilvia Neumann-Ponesch
Modelle und Theorien in der Pflege

facultas Verlag, Wien, 2021, 336 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-7089-2134-1, 5., aktualisierte und ergänzte Auflage

 

Das Studienbuch führt in das pflegewissenschaftliche Denken ein, stellt zentrale theoretische Ansätze aus der Disziplin vor und erläutert grundsätzlich die Bedeutung und Entwicklung von Theorien als auch ihre Relevanz in der Praxis.

Silvia Neumann-Ponesch ist wissenschaftliche Lehrgangsleitung verschiedener pflegebezogener Lehrgänge am Center for Lifelong Learnig an der FH Oberösterreich. Die diplomierte Krankenpflegerin und Magistra in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften mit dem Studienzweig Soziologie ist auch Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, eine ehemalige Pflegedienstleitung und ehemalige Leiterin einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule. 

Das Buch „Modelle und Theorien in der Pflege“ ist 2021 in der 5., aktualisierten und erweiterten Auflage erschienen, 2004 erschien die erste Auflage. Ausgangspunkt für das Buch war, dass Pflegearbeit auch Theoriearbeit beinhaltet: „Das Was und das Wie des Dienstleistungsangebots resultieren häufig aus der Theorie, auch wenn das Wort Theorie in der täglichen Pflegepraxis nicht allgegenwärtig ist“ (S. 5).

Das Buch ist in neun Abschnitte unterteilt und bietet in vier Anhängen Inhalte zur Anwendung von Theorien zu den Themen Erstgespräch, zum Konzept der Immobilität, einem Fallbeispiel sowie neu in dieser Auflage ergänzt der Anhang zu sozialer Isolation und Einsamkeit.

Im ersten einleitenden Abschnitt wird der aktuelle Stand der Theoriediskussion in Österreich und deutschsprachigen Ländern knapp skizziert.

Im zweiten Abschnitt werden Kritikpunkte an Pflegetheorien und -modellen dargestellt, unter anderem eine uneinheitliche Begriffsverwendung sowie ein Mangel an wissenschaftlich-empirischer Fundierung, Praxistauglichkeit und multiprofessioneller Ausrichtung.

Der dritte Abschnitt geht der Frage nach, welche Bedeutung Theoriearbeit in der Pflege einnehmen kann: „Theorie und Praxis bedingen einander gegenseitig! Es gibt keine Praxis ohne Theorie“ (S. 35). Pflege als Disziplin ist stets praxis- und theoriegeleitet, auch wenn die Theorie als solche in der Situation nicht benannt werden kann. Die Bildung von Theorien sichert die Wissensbestände, ermöglicht, diese weiterzuentwickeln und kann die Professionalisierung des Berufsbilds befördern.

Innerhalb des vierten Abschnitts erfolgen die grundlegenden Klärungen der Begriffe Modell, Theorie und Konzept. Erkenntnisse aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, wie der Wissenschaftstheorie und Soziologie, werden hier zusammengeführt. Zudem werden Klassifizierungsmöglichkeiten von Theorien dargestellt.

Abschnitt fünf stellt nach einem kurzen Überblick der Entwicklung von Modellen und Theorien die bekanntesten Theoretikerinnen und Theoretiker sowie die zentralen Aussagen ihrer Pflegetheorien in Kürze dar. Wichtige Theorien, unter anderem wie die von Patricia Benner, Madeleine Leininger, Dorothea Orem, Joyce Travelbee und viele weitere werden hier knapp umrissen.

Im sechsten Abschnitt werden ausgewählte Theorien und Modelle kurz skizziert. Ausgewählte Modelle wie zum Beispiel die von Martha Rogers oder Hildegard Peplau werden anhand eines Anwendungsfalls auf die Praxis angewandt, indem Aussagen zur KlientInnen-, PatientInnen- und Umfeldsituation ermittelt sowie Pflegediagnosen und abgeleitet Pflegemaßnahmen dargestellt werden.

Abschnitt sieben stellt Wege der Theorieentwicklung anhand der beiden methodischen Schritte Analyse und Synthese dar. Ausführlich werden die Elemente von Theorien erläutert: Begriffe als kleinste Bausteine einer Theorie, Thesen zur Synthese einzelner Gedanken, die zu Elementen einer Theorie, eines Konzepts oder Modells zusammengesetzt werden können.

Als Perspektive für die Anwendung von Theorien zu zukünftigen Problemstellungen in der Praxis zeigt Neumann-Ponesch im achten Abschnitt den Theorienpluralismus bzw. Patchworktheorien auf. Dabei geht es nicht um die Anwendung eines Gesamtmodells, sondern um die Kombination unterschiedlicher theoretischer Lösungsansätze, „die leicht greifbar und verständlich sind“ (S. 255). Die Anwendung von kombinierten Theorien setzt umfassendes Wissen über diverse Theorien, ein klar definiertes Pflegeziel sowie eine passende Evaluationsstrategie zum Einsatz der angewandten Theorien voraus.

Der abschließende neunte Abschnitt bündelt Hinweise für die Implementierung, neues Wissen in der Pflegepraxis umzusetzen und mit Hindernissen umzugehen. Dabei ist es wichtig, pflegeimmanente Wissensinhalte zu definieren, um den eigenen Wissenskorpus weiterzuentwickeln sowie Rahmenbedingungen zu schaffen, analytisches Denken zu fördern. Im Zuge dessen sind Aktivitäten im Rahmen eines Wissensmanagements förderlich für die Implementierung theoretischen Wissens, dieses Wissen in Entscheidungen und Handlungen umzusetzen. Zur rationalen Entscheidungsfindung beim Einsatz pflegerischer Maßnahmen vor dem Hintergrund evidenzbasierten Wissens, kann das Konzept Evidence Bases Nursing (EBN) zum Einsatz kommen. Eine weitere Rolle nehmen Advanced Practice Nurses (APNs) ein, die über ein erweitertes Fachwissen zu komplexen Pflegesituationen verfügen und ihr Wissen sowohl an KollegInnen als auch PatientInnen weitergeben und die Wirkung der eigenen Handlungen evaluieren.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Studienbuch um ein gutes Überblickswerk, das zentrale theoretische Ansätze aus der Pflege vorstellt und Hinweise auf weiterführende Literatur gibt. Die jeweiligen Pflegetheorien werden in einem kurzen Überblick samt Biografie der jeweiligen Autorin dargestellt. Kritisch anzumerken ist dabei, dass die Kurzbiografien uneinheitlich in der Darstellung sind, bei manchen fehlt das Geburtsdatum, andere Biografien wurden in dieser neueren Auflage nicht aktualisiert, wenn z. B. die Theoretikerin inzwischen verstorben ist.

Das Buch ist gut verständlich geschrieben, mit einfachen, unkomplizierten Sätzen. Marginalien und Merkkästen helfen Lesenden, wichtige Inhalte zu identifizieren. Jeder Abschnitt endet mit Fragen zur Vertiefung. Lesende werden jedoch mit ihren Antworten auf diese Fragen allein gelassen. Es gibt keine konkreten Lösungshinweise auf die Antworten und auch keine Feedbackhinweise auf Reflexionsfragen zu vertiefenden Themen. Zum Beispiel der Anhang zur sozialen Isolation und Einsamkeit als Aufgabe, Patchworktheorien zu einem Ansatz für die Praxis zu entwerfen, lässt Übende ohne ein Feedback oder Hinweise zu Lösungen an dieser Stelle im Dunkeln tappen. 

Die Reihenfolge der ersten vier Abschnitte kann Lesende mit wenig Vorwissen zu Theorien schlecht abholen. Die Frage, was eine Theorie ist, wird erst im vierten Abschnitt beantwortet, so wird es vorab schwierig Kritikpunkte an Theorien einzuordnen, wenn die grundlegende Begriffsdefinition noch nicht vorhanden ist.

Nichtsdestotrotz wird das Anliegen der Autorin immer wieder deutlich, auf die Bedeutung von Theorien für die Pflegepraxis hinzuweisen, wie sie im Merkkasten auf Seite 37 zusammenfasst: „Theorie ist eine der bedeutendsten Erkenntnisquellen für Pflege. Die richtige Anwendung von Forschungsergebnissen in der Praxis häng von der Theorie ab, die hilft, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Die sich daraus auf Theorie stützende Pflege erhöht die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung“ (S. 37).

Das Studienbuch „Modelle und Theorien in der Pflege“ bietet ein gutes Überblickswerk, das sich in der fünften Auflage als Werk für Aus- und Weiterbildung etabliert hat. Lesende finden hier grundsätzliches Überblickswissen über Theorien an sich, die Relevanz von Theorien in der Pflegepraxis sowie die Kombination von Theorien als Lösungsansatz für komplexe Probleme in der Pflegepraxis. 

Eine Rezension von Jun.-Prof. Dr. phil. Daniela Schmitz