Zukunft. Alter. Professionalisierung und interdisziplinäres Arbeiten in der Gerontologie als Wechselspiel zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis

zukunft alterInes Himmelsbach, Cornelia Kricheldorff, Martine Schäufele, Martina Wolfinger, Astrid Hedtke-Becker, Marion Müller (Hrsg.)
Zukunft. Alter.
Professionalisierung und interdisziplinäres Arbeiten in der Gerontologie als Wechselspiel zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis

Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, 2020, 190 Seiten, 24,80 €, ISBN 3-86628-687-2

Das Buch von Ines Himmelsbach, Professorin an der KH Freiburg und ihren Mitherausgeberinnen (und Co-Autorinnen) befasst sich mit dem Professionalisierungsprozess in der Gerontologie. Inhaltlich geht es um die Erfahrungen aus dem gemeinsamen und hochschulübergreifenden Projekt „Zukunft. Alter - Verbundmaster Angewandte Gerontologie“. Diese fünfjährige Initiative, durch zwei Ministerien in Baden-Württemberg und den Europäischen Sozialfonds gefördert, beinhaltet ein mehrstufiges Studiengangsmodell: Wissenschaftliche Weiterbildungen bis hin zum Master sollten akkumuliert werden und zielgruppenspezifisch auf die Bedürfnisse der in der gerontologischen Praxis tätigen Personen – von der Pflegefachkraft über Mitarbeiterinnen einer kommunalen Seniorenberatung bis hin zu sozialpädagogisch Engagierten – ausgerichtet werden. Es geht hier um eine wichtige Ergänzung zu den hochschulisch angebotenen Studiengängen im Bereich der Gerontologie, die sehr heterogen sind. Kernpunkt des Verbundprojekts waren einerseits die disziplinären Inhalte (mit großem Praxisbezug), welche an den verschiedenen Standorten (Mannheim, München, Freiburg) vermittelt wurden. Hier war es gelungen, bekannte Fachvertreter/innen aus der Gerontologie (von der Geriatrie/ Gerontopsychiatrie über die Gerontologische Pflege bis hin zu Experten für kommunale Altenhilfeplanung) für die Lehre zu gewinnen. Wichtig war sicher auch, dass interdisziplinäre Bezüge in den Veranstaltungen vermittelt wurden, auch in den jeweiligen Abschlussarbeiten komprimiert auf den Punkt gebracht werden konnten. Welche Themenfelder werden in der vorliegenden Schrift adressiert?

Vier Themenschwerpunkte stehen im Zentrum:

Den Beginn machen die Überblicke, welche drei Beiträge beinhalten. Der Text von Müller und Himmelsbach führt in die Professionalisierungsdebatte in der Gerontologie ein. Himmelsbach, Kricheldorff, Schäufele, Wolfinger, Hedtke-Becker und Müller berichten über das erwähnte Verbundprojekt. Und Hedtke-Becker, Hendlmeier und Schäufele skizzieren die Entstehung und Entwicklung des „Kontaktstudiengangs Angewandte Gerontologie (KONTAGE)“ – quasi der Vorläufer des Verbundprojekts. Denn an der HS Mannheim wurde die Grundidee realisiert. In den Veranstaltungen von KONTAGE wurden bereits wichtige Grundlagen gelegt, das Engagement und die Diskussionsfreude waren hoch. Davon konnte sich der Rezensent selbst überzeugen, der an diversen Lehrveranstaltungen in Heidelberg (dort befand sich das damalige Schulungszentrum) beteiligt war.

Das Kapitel Einblicke besteht aus vier Texten. Kricheldorff, Himmelsbach und Müller gehen zunächst auf das Thema „Altern im Sozialraum und Quartier“ ein, welches mit einer Schwerpunktsetzung dann später in KH Freiburg weiter ausgebaut wurde. Ein weiterer Beitrag – von Hendlmeier, Lammel und Schäufele – beschäftigt sich mit der Interventionsgerontologie und der Gerontopsychiatrie. Das war von Anfang an ein wichtiger Akzent in den Lehrveranstaltungen. Denn der Fokus lag weniger auf dem gesunden Altern, eher beim pflegebedürftigen und kognitiv eingeschränkten alten Menschen. Der Hinweis auf Zusammenhänge von „Altern und Digitalisierung“ darf nicht fehlen, das Thema wurde von Himmelsbach und Müller vertieft. Und schließlich berichtet Wolfinger vom bayrischen Kooperationspartner, der KSH München, über Case und Care Management. Wenn es um Netzwerkarbeit in der Gerontologie geht, dann muss dieser Sektor wohl als eine der zentralen Herausforderungen benannt werden.

Die Ausblicke bestehen aus Abschlussarbeiten von Teilnehmer/innen der entsprechenden Weiterbildungen; hier kann man sich von der Qualität des Gelernten überzeugen. Modrock befasst sich mit der Inklusion von ambulant begleiteten Menschen mit geistiger Behinderung, Wiedenmann mit dem Sozialmonitoring als unterstützendem Instrument einer lokalen Sozialplanung, Häuptle mit Initiativbesuchen bei 70-, 75- und 80-jährigen „Geburtstagskindern“, Roos mit dem Quartiersverständnis in der Altenpflegeausbildung und Maier mit dem Einsatz von Tablets zur Aktivierung von Menschen mit Demenz in der stationären Altenpflege. Vieles ließe sich über diese Arbeiten sagen, man muss sie selbst studieren um einen vertieften Einblick zu gewinnen. Ich möchte nur einen Punkt herausgreifen, der als Ergebnis der Arbeit zum Quartiersverständnis in der Altenpflegeausbildung (vor Einführung der Generalistik am 01.01.2020) deutlich wurde: Hier ist noch erheblicher Nachholbedarf in der Pflegeausbildung, ein defizitäres Bild von Quartier und Sozialraum dominiert, es gibt noch viel Luft nach oben für eine interdisziplinäre Perspektive. Aber diese Aussage muss auf die Verantwortlichen der gesamten Pflegelandschaft bezogen werden.

(Fast) den Abschluss bildet ein Part zu den Weitblicken. Hier werden noch zwei weitere Projekte vorgestellt. Eins bezieht sich auf den geriatrischen Patienten und knüpft an Ideen zur interprofessionellen Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen an. Man fragt sich ja, warum wir eigentlich in Deutschland jene Personen, die im weitesten Sinne im Bereiche der Gesundheit, Pflege und Prävention im Alter tätig sind, im Kern nur monodisziplinär ausbilden. Nach der Ausbildung wird aber ein „ganzheitliches“ Denken und Zusammenarbeiten erwartet. Wir wissen alle, dass die Teamarbeit und die Anerkennung anderer Disziplinen (und deren Logiken) auf Augenhöhe dann ein Problem darstellen. Mindestens ansatzweise konnte dies in diesem Projekt überwunden werden. Es wird ergänzt durch Erfahrungen aus Georgien, aus denen deutlich wird, dass viele andere Länder im Hinblick auf die gerontologische Versorgung mit existentiellen Herausforderungen zu kämpfen haben. Es ist gut und richtig, dass wir unsere Erfahrungen in entsprechenden Schulungsprogrammen einfließen lassen und uns der Kritik von anderer Seite stellen.

Der Augenblick, eine Bildbetrachtung von Müller zu einem Werk von Heiner Gölz (welches auf dem Cover des Buches abgedruckt ist), rundet diesen Band ab.

Fazit

Das Buch ist für alle in der gerontologischen Arbeit tätigen Personen (vor allem für Studierende und Praktiker/innen) empfehlenswert, informativ und weiterführend. Es enthält viele Anregungen für Innovationen. Vor allem werden das Engagement und das Herzblut aller Beteiligten – von den Initiatorinnen der ersten Stunde über die Studierenden in den diversen Programmen bis hin zu den Lehrenden – sehr deutlich. Es ist wichtig, dass diese Engagements weiter fortgesetzt werden und die Möglichkeit eröffnet wird, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Nicht zuletzt deswegen ist dieser Publikation eine breite Resonanz zu wünschen.

Eine Rezension von Univ.-Prof. Dr. Hermann Brandenburg