Beziehungsgestaltung in der Pflege

t9NuhDbBOX ZoomChrista Büker, Julia Lademann
Beziehungsgestaltung in der Pflege

W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2019, 182 Seiten, 29.00 €, ISBN 978-3-17-0321113-7

Dieser zweite Band der neuen Lehrbuchreihe ‚Bachelor Pflegestudium‘, die von den beiden Autorinnen dieses Bandes im Kohlhammer Verlag herausgegeben wird, widmet sich dem zentralen Thema der Beziehungsgestaltung in der Pflege. Die Buchreihe richtet sich in erster Linie an Studierende und Lehrende der hochschulischen Pflegeausbildung. Mit der Schwerpunktsetzung auf Beziehung, Kommunikation und Interaktion werden für die Profession Pflege zentrale inhaltliche Querschnitthemen aufgegriffen, die für eine „gute“ Pflege essentiell sind und auf der alle nachfolgenden Pflegeprozesse aufbauen.

Beide Autorinnen sind renommierte Pflegewissenschaftlerinnen mit ausgewiesener Expertise im Bereich der Konzeption und Leitung von Pflegestudiengängen im Rahmen der akademischen Erstausbildung. Beide konzipieren und lehren bereits mehrere Jahre als Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerinnen als Professorinnen in Bachelorstudiengängen in der Pflege, Frau Prof. Dr. Christa Büker an der Fachhochschule Bielefeld und Frau Prof. Dr. Julia Lademann an der Frankfurt University of Applied Sciences. Im Rahmen ihrer jahrelangen Arbeit, die mit der Entwicklung und Durchführung primärqualifizierender Pflegestudiengänge als auch mit den Forschungsschwerpunkten der Autorinnen verbunden ist, entstand diese neue Buchreihe, die vor allem auch für die neue hochschulische Pflegeausbildung entstanden ist.

In der Einleitung wird die Konzeption des Bandes Beziehungsgestaltung in der Pflege konkretisiert, die vor allem auf die systematische Klärung der Bedeutung und Charakteristika der pflegerischen Beziehung und auf deren Anwendungsbezüge in der Pflegepraxis bezogen ist. Anliegen dieser Publikation ist, wichtige theoretische Positionen und empirische Erkenntnisse über den für den Pflegeberuf zentralen Gegenstandsbereich der Beziehungsgestaltung mit Bezugnahme auf die Pflegepraxis systematisch zusammen zu tragen und dies im Rahmen eines einführenden Lehrbuchs zu verdichten. So soll eine konzeptionelle Klärung in der Zusammenführung unterschiedlicher theoretischer Positionen vorgenommen werden, zugleich wird diese Publikation als Einstieg in die komplexe Materie eingeordnet. Die Konzeption sieht vor, dass das jeweilige Thema anhand eines Praxisbeispiels eingeführt wird und über Lern- und Reflexionsaufgaben weitere Impulse zur Vertiefung des Lehrstoffes angeboten wird.

Im ersten Kapitel klärt Christa Büker den Begriff, Charakteristika und Bedeutungen der Pflegebeziehung, indem zunächst wesentliche Merkmale des Pflegeberufs verdeutlicht werden. Anhand der Gegenüberstellungen von Merkmalen einer privaten Beziehung im Unterschied zur beruflichen Pflegebeziehung, wird deren fachliche Basis veranschaulicht. Die Pflegebeziehung wird als eigentliches Ziel des Pflegeprozesses und dessen eigentlicher Gegenstand definiert. Darauf aufbauend wird die Pflegerische Beziehungsarbeit „als gezielte und bewusste Gestaltung der zwischenmenschlichen Aspekte und der gegenseitigen Abhängigkeiten einer Pflegeperson-Patienten-Beziehung im Pflegeprozess“ konzeptualisiert, deren Inhalte das „beiderseitige Erleben und Verarbeiten einer Erkrankung sowie der Umgang mit der Krankheit und den Krankheitsfolgen“ beschrieben wird (Büker 2019: 21). Als wesentliche Merkmale werden deren besondere körperliche Nähe, bei der die Berührung einen zentralen Stellenwert einnimmt, die Konfrontation mit existentiellen Situationen, die ihr innewohnende Asymmetrie und deren Verschränkung mit der Lebenswelt von Patienten herausgearbeitet. Die darauf folgende Betrachtung der der Pflegebeziehungen innewohnenden Risiken und Spannungsfelder verdeutlicht den hohen Anspruch, der an deren reflektierte Ausgestaltung geknüpft ist, wie etwa der reflektierte Umgang mit Grenzüberschreitung (Büker 2019: 29).

Die Beziehungsarbeit wird als „die bewusste, durch gezielte Handlungen beeinflusste Beziehungsgestaltung“ als Teil einer jeden Pflegehandlung konzeptualisiert (Büker 2019: 30). Zur Verdeutlichung der empirischen Basis im Hinblick auf die Wahrnehmung der Pflegebeziehung aus Sicht von Pflegeempfängern, werden einige englischsprachige Studien aus verschiedenen Settings herangezogen und Merkmale guter Versorgungsqualität herausgearbeitet, die die Güte der Pflegebeziehung als Schlüssel einer als gut empfundenen Pflege verdeutlichen. Weitere ausgewählte empirische Befunde beschäftigen sich mit der Pflegebeziehung aus Sicht von Pflegefachpersonen in Form von zwei weiteren Studien. Den Abschluss des ersten Kapitels bildet die Betrachtung der Pflegebeziehung als Bündnisbeziehung, ursprünglich religiös-ethisch begründet und aktuell in etwa dem Bedeutungsspektrum von Caring entsprechend, die in einer Spannung zu einer rein rechtlich juristischen Definition infolge der Ökonomierung des Gesundheitswesens gesehen wird, letztlich aber im Rahmen einer evidenzbasierten Pflege als Arbeitsbündnis zwischen den Akteuren des Pflegeprozesses wieder in die Konzeption einer forschungsbasierten letztlich personzentrierten Pflege aufgenommen wird.

Im zweiten Kapitel betrachtet Julia Lademann die Einflüsse des geschichtlichen Hintergrundes des Pflegeberufs im Hinblick auf dessen ursprünglich religiöse Motivation auf dessen aktuelle Rahmenbedingungen im Spektrum der anderen Gesundheitsfachberufe. Dazu zeigt sie zuerst den Wandel des historischen Selbstverständnisses des zunächst als Krankenpflege konzipierten Pflegeberufs zu einem modernden Dienstleistungsberuf auf, was auch mit einer Erweiterung des Rollenspektrums vom (erduldenden) Patienten, über den Klienten, den Kunden und schließlich hin zum aktiven Nutzer des Versorgungssystems im Kontext von Effizienzbestrebungen und marktwirtschaftlichen Entwicklungen im Gesundheitssystem verbunden ist. Die mit den verschiedenen Begriffen verbundenen Zuschreibungen und Beziehungskonstellationen sowie die damit verbundene Versorgungstrategie werden aufgezeigt. Im Hinblick auf das Berufsverständnis vollzog sich diese Entwicklung von einer ‚ganzheitlichen‘ zur einer ‚naturwissenschaftlich‘ dominierten Pflege, was ebenso als ‚Erbe‘ des modernen Pflegeberufs zu verstehen ist, wie auch dessen ursprüngliche Verberuflichung zu einem ‚typischen Frauenberuf‘. Festgestellt wird, dass eine abschließende Klärung der Gestaltung einer professionellen Beziehung unterblieben ist, was Unklarheit im pflegerischen Selbstverständnis bedingt. Außerdem werden weitere moderne Prinzipien, wie etwa Selbstbestimmung und shared decision making, ausgeführt. Auf die mit der modernden Nutzerrolle verbundenen Gefahr der Überforderung als ‚arbeitender Patient‘ wird eingehend hingewiesen und die komplexen Zusammenhänge werden grafisch gut zusammen gebracht. Lademann (2019: 55) resümiert ausgehend dieser Befunde, dass eine professionelle Beziehungsgestaltung „Pflegebedürftige in dem ganzen Spektrum zwischen aktiver und passiver Ausprägung wahrzunehmen und ihnen entsprechend [differenziert] zu begegnen“ habe. Da trotz zurückgehender Bedeutung religiöser Einflüsse auf den Pflegeberuf eine „aufopfernde Haltung“ immer noch eine Rolle spielt, wird das von Schmidbauer beschriebene Helfersyndrom dargelegt, woraus für die professionelle Beziehungsgestaltung und Entwicklung einer professionellen Haltung seitens Pflegefachpersonen die Notwendigkeit der Reflexion eigener Helfermotive abgeleitet wird, um etwaige verleugnete eigene Bedürfnisse und Abwehr eigener Schwächen zu erkennen, die sich ansonsten unbewusst in einem so genannten Helfersyndrom Bahn brechen und negativ Einfluss auf die Pflegebeziehung nehmen können, im Aufbau einer helfenden Haltung, „die weitgehend frei von inneren Zwängen“ ist (S. 59), was aber auch auf gesellschaftlicher Ebene die Schaffung struktureller Voraussetzungen zu Entwicklung eines entsprechend kritischen Bewusstseins fordert. Dieses fachliche Niveau verlangt eine reflektierte, selbstkritische und gleichzeitig selbstbewusst agierende Pflegefachperson, die zu befähigen ist, die Verantwortung der Politik, Gesundheitswirtschaft und der Gesellschaft an der Herstellung der Bedingungen einer fachlich-menschlich guten Pflege zu beteiligen bzw. diese einzufordern. Aufgrund seiner hohen Bedeutung für den Pflegeberuf geht Lademann (2019) auf die Gefühlsarbeit nach Glaser und Strauss ein, die in Abgrenzung zur Emotionsarbeit (Arbeit an den Gefühlen der Leistungserbringer) nach Hochschild an der Perspektive der Pflegeempfänger orientiert ist und überhaupt erst die Voraussetzungen für die Durchführung anderer Arbeiten, wie beispielsweise der Verrichtung von Lebensaktivitäten, schafft. Dann wird auf den wichtigen Stellenwert der Empathie im Rahmen der Pflegebeziehung eingegangen und fördernde wie hemmende Einflussfaktoren auf die affektive Empathie herausgearbeitet, da vor allem die kognitive Empathie für die professionelle Beziehungsgestaltung wesentlich ist, um den Einfluss etwaiger negativer Gefühle auf die eigenen Emotionen zu erkennen und damit kontrollieren zu können (sich davon distanzieren können). So ist es für die professionelle Beziehungsgestaltung wesentlich, „sich die Unterscheidung zwischen Empathie, Sympathie (bzw. auch Antipathie) und Mitleid bewusst zu machen“ (S. 64). Infolgedessen unterscheidet Lademann (2019: 65) differenziert zwischen Empathie, Sympathie / Antipathie und Mitleid. Anhand der Untersuchung von Bischoff-Wanner wird ein spezifischer Empathiebegriff angesprochen, wobei Kognitive Empathie als Merkmal eines modernen Berufsverständnisses herausgearbeitet wird, doch wird zugleich das Fehlen einer fachlichen Basis zum professionellen Umgang mit Gefühlen herausgestellt. Im Rahmen der Pflegebildung ist die Befähigung, „von konkreten eigenen Gefühlen und Gefühlen anderer abstrahieren zu können“ wesentlich (Lademann 2019: 69). Zu reflektieren ist, welche Konsequenzen es für Pflegefachpersonen hat, wenn „ein humanes Engagement (z. B. in Form von Gefühlsarbeit) fast nur außerhalb der offiziellen beruflichen Aufgaben und Arbeitszeiten möglich ist und dass Sparmaßnahmen in der Pflege zu schweren Qualitätsverlusten sowie Burnout und Berufsflucht“ führen (S. 70).

Das dritte, ebenfalls von Lademann (2019) verfasste Kapitel ist der Darstellung der theoretischen Grundlagen von Kommunikation und Interaktion als Mittel, miteinander in Beziehung zu treten, gewidmet und beleuchtet unterschiedliche Kommunikationsmodelle, wie das der zwischenmenschlichen Kommunikation von Watzlawick und das Vier-Seiten-Model der Kommunikation von Schulz von Thun, die Transaktionsanalyse nach Berne und das Kommunikationsmodell der einfühlsamen bzw. gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg. Auf dieser Basis werden pflegewissenschaftliche Interaktionstheorien aus der Tradition der US-amerikanischen Pflegetheorien heraus skizziert (Peplau, Orlando, Tarvelbee). Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der körperlichen Dimension der Pflege wird im Weiteren auf die Bedeutung des Körpers und des Leibes in der Interaktion und Kommunikation eingegangen. Vor dem Hintergrund eines auf die psychozielen Dimensionen erweiterten Begriffs werden die Ansätze der Embodied Communication und der Leitphänomenologie in ihren Implikationen auf Kommunikation ausdifferenziert. Dies ist umso wichtiger, als leibliche Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil des Verständnisses von Pflegesituationen darstellt und im Rahmen sinnvoller Interaktionsformen Berücksichtigung findet. Dann werden neuere pflegewissenschaftliche Ansätze zur Konzeptualisierung der Beziehung in Form des kritisch-emanzipatorischen Ansatzes von Friesacher und kommunikative Kompetenz in der Pflege nach Darmann-Finck et al. bearbeitet. Im Anschluss werden einerseits der Ansatz des Primary Nursing und andererseits die Beziehungsbasierte Pflege knapp umrissen, die die zu fordernden organisationsbezogenen Rahmenbedingungen einer professionellen Beziehungsgestaltung in den Blick nehmen. Büker widmet sich im vierten Kapitel den Gestaltungselementen einer professionellen Pflegebeziehung, wobei sie zuerst auf die Haltung der Pflegenden gegenüber Patienten eingeht, der Ethikkodex des ICN sowie die Rahmenberufsordnung des Deutschen Pflegeberufs Erwähnung finden. Als Elemente werden die Beachtung ethischer Kodizes, Respekt / Vertrauen und Einvernehmlichkeit, Reflexionsfähigkeit, die Verankerung von Wertvorstellungen auf institutioneller Ebene, wie das Anforderungsprofil Pflegerische Beziehung nach Hulskers, erwähnt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Betrachtung der Elemente Nähe und Distanz, die von Büker als Dyade konzeptualisiert werden, deren jeweilige Wirkungen in gelingenden Pflegebeziehungen reflektiert werden müssen, um das angemessene Maß zu avisieren. Dazu wird auf unterschiedliche Settings eingegangen.

In einem weiteren Kapitel wird auf professionelle Kommunikation und entsprechend auf die entsprechende Schlüsselqualifikation der Kommunikativen Kompetenz eingegangen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den Aspekt der Beziehungsgestaltung durch körperbezogene Pflegeinterventionen gelegt (S. 122). Auf der Basis von Forschungsbefunden und den Qualitätskriterien einer professionellen Berührung werden klientenbezogene Erwartungen im Hinblick auf die Gestaltung von Körperkontakten abgeleitet.

Auf dieser Basis wird auf Patientenerwartungen an die Beziehung mit Pflegenden eingegangen, die die Notwendigkeit der Eruierung der jeweils spezifisch individuellen Erwartungshaltung an die professionelle Beziehungsgestaltung verdeutlichen, da sie zuweilen theoretisch überhöht idealisiert konzipiert ist und eine Ausbalancierung des Nähe-Distanz-Verhältnisses im Zusammenhang der Grenzen einer Pflegebeziehung fordert.

Im fünften Kapitel werden von Büker nun Aspekte der Beziehungsgestaltung auf die Zielgruppen Menschen mit Demenz (auch unter Berücksichtigung des DNQP-Expertenstandards und Kitwoods Ansatz), Menschen mit psychischen Störungen (z. B. NIC), Menschen in der letzten Lebensphase (Kerndimensionen von Palliative Care), Patienten in Isolierung, Menschen mit einer Stigmatisierungsgefahr und insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund und HIV-Infektion, wahrnehmungsbeeinträchtigte Personen (Basale Stimulation), Angehörige mit Blick auf die Settings häusliche Situation, Intensivstation und Pflegeheim, ausgeführt.

Lademann beschreibt dann im sechsten Kapitel Voraussetzungen effektiver Beziehungsgestaltung in der Pflege, wie das professionelle Berufsverständnis und Berufsethik, wobei auf den ICN Ethikkodex und Caring, pflegewissenschaftlich fundierte Beziehungskonzepte, pflegewissenschaftliche Kompetenzentwicklung und Rahmenbedingungen von Pflege in Gesellschaft und Institution eingegangen wird.

Diese Publikation bringt komplexe Zusammenhänge professioneller Beziehungsgestaltung in der Pflege in gut verständlicher Sprache auf den Punkt und kann daher sehr gut zum Einstieg in die mit ihr zusammenhängenden theoretischen Positionen betrachtet werden. So erhalten Lernende und Lehrende in primärqualifizierenden Bachelorstudiengängen einerseits eine grundlegende Orientierung über Beziehungsgestaltung und andererseits zahlreiche Hinweise zur Vertiefung dieses Gegenstandes. Damit bewegt sich die Intention dieser Lehrbuchreihe an dem sehr aktuellen Thema der konzeptionellen Grundlagen der akademischen Erstausbildung in der Pflege. Mit dieser Ausrichtung ist der vorliegenden Publikation ein Alleinstellungsmerkmal und zugleich eine wertvolle Ergänzung etwa zum Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz gelungen. Dabei werden die Inhalte übersichtlich und durch Tabellen, Hervorhebungen und Abbildungen anschaulich und ansprechend dargestellt.

Dieser Band von Büker und Lademann kann als fundierter und komprimierter Einstieg in den zentralen und äußerst aktuellen Themenbereich der professionellen Beziehungsgestaltung sowohl Einsteigern in der Pflege als auch erfahrenen Pflegenden wie auch Lehrenden sehr empfohlen werden, da es zu zahlreichen Reflexionen anregt und als wesentliche Dimension des Pflegeprozesses unbedingt in diesem Kontext mit einzubeziehen ist.

Eine Rezension von Prof. Dr. Michael Schilder