Stephanie Porschen-Hueck, Marc Jungtäubl, Margit Weihrich (Hrsg.)
Agilität? Herausforderungen neuer Konzepte der Selbstorganisation
Rainer Hampp Verlag, Augsburg/München, 2020, 265 Seiten, 27,80 €, ISBN 978-3-95710-271-3
Das „neue“ Konzept der Agilität wird verstanden als eine Kompetenz, flexibel und situationsbezogen in dynamischen Kontexten agieren zu können, wobei das Ziel – die „Kundenzufriedenheit“ – eine der Hauptpfeiler darstellt. Die zugrundeliegenden Theorien, begleitenden Vorausannahmen und praktischen Anwendungen entstammen dem Bereich der Softwareentwicklung und werden dort, mehr oder minder, erfolgreich angewendet. Im Buch erfolgt anhand einer kritischen Reflexion hinsichtlich fördernder und hemmender Faktoren eine Adaption auf den Bereich der stationären Gesundheits- und Krankenpflege.
Die drei Herausgeber*innen sind im arbeitswissenschaftlichen Kontext tätig und weisen einen teils jahrzehntelangen Forschungs- und Praxisschwerpunkt in ihrem Werdegang auf. Dr. Stephanie Porschen-Hueck ist Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. in München, Dr. Margit Weihrich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt der Universität Augsburg, ebenso wie Marc Jungtäubl, der zusätzlich noch an der Universität Hohenheim tätig ist. Alle drei forschen zu verschiedenen Schwerpunkten im Bereich der Arbeitswissenschaft/-soziologie verbunden mit entsprechenden Publikationen in verschiedenen Fachzeitschriften, Journals und Buchbeiträgen.
Bei der Publikation handelt es sich um Artikel diverser ausgewiesener Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Praktiker*innen im Kontext der Thematik Agilität und Selbstorganisation. Die Beiträge gehen auf einen Workshop im Rahmen des Projektes PräFo (Prävention von Belastungen bei formalisierter Arbeit in Dienstleistung und technischer Entwicklung) zurück. Dieses wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des FuE-Programms „Zukunft der Arbeit“ gefördert.
Das Buch startet mit einer thematischen Hinführung seitens der Herausgeber*innen. Anschließend wird der Themenkomplex anhand eines historischen Überblicks über Selbstorganisationskonzepte theoretisch eingeführt. Hierbei wird sich auch der Frage gewidmet, ob diese neuen Konzepte eine Zusammenführung agiler Arbeit auf individuellem Handeln und organisationalem bewirken können. Weiterführend geht es in die Bewertung des übergeordneten Selbstorganisationskonzeptes im praktischen Setting, was anhand dreier Kapitel mit Praxisbeispielen seitens der Autor*innen veranschaulicht wird. Daraufhin erfolgt eine verstärkt wissenschaftlich-soziologische Betrachtungsweise, welche anhand zweier weiterer Projekte aus dem Kontext, einer gesundheitsförderlichen Perspektive und einer kritischen Bewertung aus der Sichtweise der oftmals gewünschten Anerkennung seitens der Arbeitnehmer* innen erfolgt. Der letzte thematische Abschnitt, welcher seitens der Herausgeber*innen gestaltet wurde, beleuchtet anhand einer kritischen Reflektion und Diskussion die Anwendung und auch Adaption mittels praxistauglicher „Werkzeuge“ des Konzeptes der Agilität auf den Bereich der stationären Gesundheits- und Krankenpflege. Abschließend wird seitens der Herausgeber* innen noch ein Fazit im Sinne einer Zusammenfassung und –führung der einzelnen Beiträge gezogen.
„Scrum-Ansatz“, „agile Skalierung“, „agiles Manifest“ oder „Product Owner“ als Ansatzpunkte zur Adaption einer Arbeitstheorie aus der Softwareentwicklung in den Bereich der stationären Krankenpflege? Unmöglich aus Settingsicht auf den ersten Blick, würde man spontan antworten. Bei genauerem Hinschauen und Lesen des Buches, als auch der eigenen Reflexion darüber, stellt man allerdings fest, dass genau jene Konzepte einerseits schon lange im Bereich der Pflege existieren, zum Teil natürlich ein anderes Wording haben und auch wieder vermeintlich erfolglos verworfen wurden, andererseits es einen regelrechten Boom in letzter Zeit an solchen Konzepten gibt. Man denke hierbei nur mal an die Konzepte Buurtzorg® oder das sogenannte „autonome Arbeiten“ von pflegerischen Teams. Das Buch bietet einen breitgefassten Überblick den Themenkomplex betreffend und vereint Historie, Theorie, praktische Fallbeispiele, wissenschaftliche Reflexion als auch „Werkzeuge“ zur Adaption der Ansätze in das Setting der stationären Gesundheits- und Krankenpflege. Zwar bedarf es oftmaliger Eigenreflexion der jeweiligen Konzepte, da diese aus dem Bereich der Softwareentwicklung entstammen, allerdings gelingt es den jeweiligen Autor*innen gut, die zugrundeliegenden Theorien auf praktische Gegebenheiten herunter zu brechen. Somit bietet das Buch einen guten und gelungenen Ansatz, das Konzept der Agilität kritisch zu beleuchten, um es erfolgversprechend im jeweiligen Setting zu verorten und hat somit einen direkten Nutzen, um diese „neue“ Form der Arbeitsweise von Grund auf einzuführen und entsprechend zu rahmen.
Alleine die oben genannten neuen Konzepte im Bereich der Pflege (hinzukommend zu nennen wäre beispielsweise auch das vielgepriesene Konzept des „Primary Nursing“) zeigen die Aktualität des Themenkomplexes und somit auch den Mehrwert für Umsetzende solcher Konzepte, um diese nicht von vorne herein zum Scheitern verurteilen zu lassen. Das Buch an sich ist übersichtlich gestaltet und folgt einem roten Faden im Aufbau. Zudem wird es inhaltlich zum Text an hierfür hilfreichen Stellen mit Grafiken, Fallbeispielen und auch Tabellen abgerundet. Druckqualität als auch Bindung in Form eines Softcovers entsprechen den gängigen Qualitätsansprüchen.
Das Buch stellt gerade in Zeiten neuer innovativer Arbeitskonzepte in den verschiedenen Settings der Gesundheits- und (Kinder)Krankensowie Altenpflege in Kombination mit oftmals gewünschter Selbstverwirklichung auch im Rahmen der Arbeit eine gute Grundlage dar, um diese Ansätze zielführend und nachhaltig implementieren zu können. So werden neben wissenschaftlich-theoretischen Schwerpunkten auch praktikabel veranschaulichte Fallbeispiele und Praxisberichte angeführt, anhand derer eine gelingende Umsetzung herbeigeführt werden kann. Ebenso gelingt ein erster Ansatz, das Konzept in das Setting der stationären Gesundheitsund Krankenpflege zu adaptieren. Wer mit dem Gedanken spielt, Konzepte wie autonome Teams oder ambulante Pflege nach Buurtzorg® umzusetzen, sollte dieses Buch lesen und zwar bevor er an eine Implementierung denkt.
Eine Rezension von Marco Sander, M.A. Pflegewissenschaft