Mobbing – Was uns am Arbeitsplatz krank macht

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Mobbing
Was uns am Arbeitsplatz krank macht

Schulz-Kirchner Verlag, Idstein, 2020, 76 S., 14.50 €, ISBN 978-3-8248-1255-4

Mobbing, ob am Arbeitsplatz oder in der Schule, ist ein vielfach benutzter Begriff. Das vorliegende Buch soll einen ersten Überblick über Erscheinungsformen und Ursachen des Phänomens Mobbing am Arbeitsplatz geben und von anderen Anmaßungen (wie z. B. unhöflichen Äußerungen und persönlichen Kränkungen) abgrenzen. Das kleine Buch (rund 80 Seiten) wendet sich an Betroffene, Angehörige sowie Mitarbeitende in den Gesundheitsund Sozialberufen.

Der Autor ist Diplom-Pädagoge und hat als Dozent in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pflegekräften und Therapeut/innen gearbeitet.

Das Buch beginnt mit einer ersten Definition Mobbing, was ist das? Wingchen zieht hierzu die Definition von Leymann (1993) heran, die u.a. die systematischen negativen Handlungen, die sich gegen eine Person richten sowie die Häufigkeit, den Zeitraum und eine Täter-Opfer-Beziehung umfassen. Sodann geht der Autor der Frage nach: Mobber und Gemobte: eine Frage der Persönlichkeit? Wingchen arbeitet in diesem Kapitel auf, ob es eine typische Opfer-Persönlichkeit respektive Mobber-Identität gibt. So wird z. B. die Mobbing-Bereitschaft als Kompensationsmechanismus eines reduzierten Selbstvertrauens und vor dem Hintergrund des Narzissmus beschrieben (S. 12). Der Autor resümiert: „Bei entsprechenden situationsspezifischen Voraussetzungen kann jeder zum Mobber oder zum Gemobbten werden, ohne dass defizitäre Persönlichkeitsdispositionen dafür verantwortlich gemacht werden können.“ (S. 15)

Im Folgekapitel Mobbing: die Strategien werden die fünf Strategien von Leymann (1993) benannt, so z. B. Angriffe auf das soziale Ansehen, auf die Möglichkeit sich mitzuteilen und auf die Gesundheit. Zu allen fünf Mobbing-Strategien werden mit aus der Arbeitswelt der Gesundheits- und Sozialberufe (fiktive) Fallbeispiele herangezogen. Das Fazit: „Mobbing vollzieht sich auf der Ebene des kommunikativen Miteinander-Umgehens und ist um Alltag damit schwer beweisbar!“ (S. 26)

Auch wenn jede Mobbing-Erfahrung individuell ist, so gibt es doch Formen und Risiken, und damit typische Verlaufsformen. Das Risiko mit Mobbing konfrontiert zu werden liegt – je nach Studie – zwischen 1 : 4 und 1 : 9. Mobbing-Erlebnisse finden sich auf allen Ebenen der beruflichen Tätigkeit, zwischen Kollegen (horizontal), gegenüber Vorgesetzten (bottom-up) sowie gegenüber Mitarbeitenden (top-down). Wingchen führt aus, dass „das Hinausgraulen ungeliebter Mitarbeiter unter Umgehung des Arbeitsrechts als … Management- Kniff“ gilt (S. 31), zu dem sich neben der/ dem Mobber/in und dem Mobbing-Opfer noch Mitläufer/ innen und Weggucker/innen befinden (S. 33). Der Phasenverlauf von einem Mobbing-Prozess wird nach Leymann (1993) und Meschkutat et al. (2002) beschrieben und umfasst insgesamt 5 Phasen – von der Phase 1 Konflikte/einzelne Unverschämtheiten über Phase 3 Rechtsbrüche bis zur Phase 5 Ausschluss aus der Arbeitswelt. Bewältigungsstrategien werden benannt, die sich grob mit „Flucht“ oder „Kampf“ überschreiben lassen. Die Klärung eines objektiven Tatbestands ist schwierig, so Wingchen, da Mobbende „nicht gewillt [sind] sachlich zu argumentieren, vielmehr wird das Opfer persönlich angegriffen“ (S. 41). Hinweise zum Umgang werden gegeben (Mobbing- Tagebuch, Suchen der Öffentlichkeit, Einschalten des Betriebs-/Personalrats etc.). In einem kurzen Kapitel wird sodann auf die Kosten durch Mobbing eingegangen. Unterschieden werden unmittelbare Kosten (z. B. für Stellenausschreibungen und für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter/innen) und mittelbare Kosten (z. B. Störungen im Arbeitsablauf, Unruhe, Imageverlust bei Kunden). Das Kapitel Mobbing: die Ursachen benennt nicht die Persönlichkeiten der Mobber/innen bzw. der Gemobbten, sondern die vorzufindenden Strukturen als verantwortlich. Zunächst wird auf die Frustrations-Aggressions-Hypothese eingegangen und anhand eines Fallbeispiels beschrieben. Die Stresstheorie nach Hans Selye und die kognitiven Stesstheorien werden ebenfalls in ihren Grundzügen vorgestellt. Ein gutes Betriebsklima wird als die beste Mobbing-Prävention benannt, Defizite in der Arbeitsorganisation, in der Aufgabengestaltung und im Führungsverhalten werden ausgemacht. Das Buch schließt mit dem Kapitel Karpfen und Haie: Konflikte am Arbeitsplatz zwischen Anpassen, Meistern und Bewältigung. Die Delphin-Strategien von Lynch und Kordis (1992) „unterscheiden im Meer der betrieblichen Auseinandersetzung Karpfen, Haie und Delphine.“ (S. 64) Der Karpfen orientiert sich in diesem Modell an den Bedürfnissen anderer, der Hai ist der Macher in der See und die Delphine verweigern sich dem Spiel des Fressens und Gefressenwerdens (S. 64f). Eine Liste mit Ansprechpartnern für Betroffene ergänzt die Ausführungen.

Für wen ist das Buch geeignet und bringt es neue Erkenntnisse im Thema? Positiv anzumerken ist, dass sich das Buch flüssig liest und als erster Einstieg für Interessierte – sei es aufgrund persönlicher Erfahrungen oder als Kolleg/in respektive Familienmitglied bzw. Freundeskreis – sicherlich gut geeignet ist. Erste Rahmungen und eine Idee, um was es sich beim Mobbing (im Gegensatz zu Konflikten) eigentlich handelt und was ich als Individuum tun kann bzw. wo die Grenzen liegen. Auch die Fallbeispiele aus den Berufen des Gesundheits- und Sozialwesens sind anschaulich. Der Rezensentin fehlt allerdings der Verweis auf gesetzliche Werkzeuge (Arbeitsrecht, Arbeitsschutzgesetz) und ein explizierter Hinweis auf die (Fürsorge-)Pflicht von Unternehmen. Z. B. wäre der Abdruck bzw. die Information zu Mustervereinbarungen gegen Mobbing eine gute Ergänzung gewesen, ebenso hätte die Liste der Ansprechpartner/ innen gerne um die Beratung durch die Gewerkschaften ergänzt werden können. Auch die Abgrenzung zu Konflikten (im Buch als Unverschämtheiten benannt) hätte möglicherweise explizierter herausgearbeitet werden können, um die strukturellen Unterschiede klarer zu machen. Unverständlich ist – insbesondere da sich das Buch explizit an Personen wendet, die im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sind – warum der Autor keine genderneutrale Schriftsprache nutzt und die Nutzung der männlichen Sprachform sehr ausführlich mit einem Beispielsatz in einer Fußnote kommentiert „Die Benennung beider Geschlechter wäre zwar political correct, wäre aber der Lesbarkeit nicht dienlich. (…) Um die Unsinnigkeit solcher Formulierung zu vermeiden, verwende ich die männliche Sprachform. Andere Geschlechter sind immer mitgemeint.“ (S. 10) In Berufen, die einen hohen Prozentsatz an weiblichen Beschäftigen aufweist hätte dies gut und gerne auch umgedreht werden können, sprich, es hätte die weibliche Sprachform genutzt werden können und andere Geschlechter hätten auch gemeint sein können. Nichts desto trotz, das Buch gibt einen ersten Überblick über Thema Mobbing und ist durch die Kürze sowie gute und leichte Lesebarkeit als erster Einstieg durchaus geeignet.

Eine Rezension von Andrea Warnke