Multiprofessioneller Personalmix in der Langzeitpflege

Brqandenburg
 
Brandenburg, H. und C. Kricheldorff (2019)
Multiprofessioneller Personalmix in der Langzeitpflege
Entstehung, Umsetzung, Auswirkung
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 2019, 253 S., 39,00 €, ISBN 978-3-17-035753-2

Das Buch „Multiprofessioneller Personalmix in der Langzeitpflege“ greift ein brandaktuelles Thema auf. Herausgegeben wird dieses lesenswerte Buch von Prof. Dr. Hermann Brandenburg, Inhaber des Lehrstuhls für Gerontologische Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Valendar, und Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff, Professorin für Soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Mit der Hauptfrage der Auswirkung eines Personalmix im Hinblick auf die Lebensqualität von Heimbewohnern setzen die beiden Herausgeber einen innovativen und absolut pflegerelevanten Fokus.

Das Buch basiert auf den Ergebnissen des Landesmodellprojektes „Personalmix in der stationären Langzeitpflege“ (PERLE). Die Studie wurde von 2015 – 2018 vom Land Baden-Württemberg gefördert und war von Beginn an multilokal ausgerichtet. Entsprechend der Forschungslogik der Multiprofessionalität war auch das Forschungsteam an den beiden Hochschulen zusammengesetzt - mit je einem*r hochschulischen Projektleiter*in und je zwei wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Disziplinen. Das Projekt hat acht kooperierende stationäre Einrichtungen untersucht und die gewonnenen Ergebnisse um eine landesweite Erhebung ergänzt. Begleitet wurde das Projekt von einem Projektbeirat mit Vertreter*innen der Berufs- und anderer Verbände und der Wissenschaft.

Die Studie bezog sich auf quantitative Aspekte (z.B. Anzahl, Alter und Qualifikation der Mitarbeitenden), inhaltliche Aspekte (z.B. Aufgaben- und Kompetenzprofile,  Kooperation und Zusammenarbeit der Akteure), Managementaspekte (z.B. Steuerung des Personalmix, Delegationsprozesse) und prozedurale Aspekte (z.B. Vorhandensein von multidisziplinäre Fallkonferenzen).

Ziel der Studie war es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob – und wenn ja: inwiefern – ein multiprofessioneller Personalmix Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bewohner*innen hat. Um diese sehr komplexe Fragestellung bearbeiten zu können, wurde ein aufwendiges Mixed-Methods-Design gewählt, das innerhalb des qualitativen Arms der Studie auch noch durch eine Methodentriangulation verfeinert wurde. Den Autor*innen war es wichtig, über die reine Verwendung der Methoden hinaus auch die dahinter liegenden theoretischen Ansätze in die Studie einzubringen, um so eine möglichst umfassende Perspektiverweiterung zu erreichen, die innovative Impulse für die Langzeitpflege setzt.

Das Konstrukt „Lebensqualität“ wurde vom Forschungsteam durch eine umfassende Literaturrecherche differenziert betrachtet und im Ergebnis als theoretisches Modell der Lebensqualität in der Langzeitpflege begründet, das vor allem auf den Modellen von Lawton (1991) und Kane & Kane (2003) basiert. Die sich daraus ergebende Matrix ist komplex – in dieser Komplexität aber auch umfassend und innovativ.

Die umfassende Literaturübersicht zeigte insgesamt ein sehr heterogenes Bild. Wie in vielen pflegewissenschaftlichen Studien ergab sich daraus das Problem, dass Studienergebnisse aus dem angloamerikanischen Bereich nicht ohne Weiteres auf unser hiesiges Gesundheitssystem zu übertragen sind. Als problematisch erwies sich zudem, dass in den meisten analysierten Studien je nur eine Akteursgruppe fokussiert wurde – die Fragestellung der Studie aber verschiedene Akteursgruppen einbezieht. Ein dritter limitierender Faktor resultierte aus der Tatsache, dass viele Studien eher die medizinische Betreuung als maßgeblichen Parameter betrachten und weniger Aspekte der Bewohnerzufriedenheit – wie sie in der vorliegenden Studie im Mittelpunkt steht. Trotz einer intensiven und gewissenhaften Recherche war die Datenlage aus bestehenden Studien für das Forschungsprojekt daher eher dünn.

Ein großer Teil des vorliegenden Buches wird durch die Skizzierung methodischen Vorgehens dominiert. Dadurch wird den wissenschaftlich darzulegenden Gütekriterien absolut Rechnung getragen. Für eher an den Ergebnissen Interessierte erscheinen diese differenzierten Darlegungen mitunter aber etwas sperrig und mühsam zu lesen. So erscheint z.B. die an der neu entwickelten Matrix zu Lebensqualität orientierte Auswertung der qualitativen Daten zunächst nachvollziehbar. Die Zusammenfassung erfolgt dann aber in der methodisch neu dazukommenden Kontexturanalyse mit inkludierter Typenbildung – was für die methodisch Unkundigen sicherlich eine starke Herausforderung im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit darstellen dürfte.

Problematisch erscheint im Hinblick auf Fragestellung und Design, dass offenbar un- und angelernte Hilfskräfte im Begriff „Multiprofessionell“ eingeschlossen und damit als professionelle Berufsgruppe verstanden und definiert werden. Die unterschiedlichen Kompetenzniveaus werden dabei im Hinblick auf die Begriffe „Profession“ und „Berufsgruppe“ nicht thematisiert. Damit wird der Eindruck erweckt, dass die mit einer beruflichen Qualifikation erworbenen Kompetenzen keine Rolle spielen. Dabei wäre die Frage, ob durch Qualifikationen erworbene Kompetenzen eventuell entlastend wirken – oder aber, ob Ungelernte durch weniger Verantwortung eventuell weniger belastet sind –, für den Gesamtzusammenhang durchaus interessant erschienen. Die Einbindung von An- und Ungelernten in den Begriff „Multiprofessionell“ und die an vielen Stellen eher unklare Darstellung der Kompetenzniveaus in der Datenauswertung erscheint an einigen Stellen verwirrend.

In den abschließenden Texten verweisen Brandenburg und Kricheldorf (S. 238) zum Glück aber noch einmal zusammenfassend auf den Zusammenhang von Qualifikationsniveau und Bewohnerzufriedenheit. Auch andere überaus wichtig erscheinende Themen werden im Fazit noch einmal kurz angerissen. Z.B. wird kurz Bezug genommen auf die Frage, inwieweit der Personalmix weit eher dem „Bewältigungs- und Machbarkeitsparadigma“ (S. 227) folgt als Überlegungen zur Pflegequalität und Bewohnerzufriedenheit. Auch die Frage, ob die Abgabe vieler beziehungsorientierter Aufgaben an Personen mit niedriger oder keiner Qualifikation die Berufszufriedenheit der dreijährig Examinierten beeinträchtigt und Ihnen damit eine bedeutsame und identitätsstiftende Tätigkeit „wegdelegiert“ wird, wird am Rande thematisiert.

Insgesamt liefert das Buch wissenschaftliche Belege für viele erahnte Zusammenhänge. Die Lesbarkeit ist an einigen Stellen durch die sehr detaillierte Skizzierung des methodischen Vorgehens erschwert – und die Nachvollziehbarkeit durch eine problematische Zuordnung von Un- und Angelernten als Profession. Unabhängig davon liefert das Buch aber auch eine fundierte Grundlage dafür, sich mit diesem wichtigen Thema auseinanderzusetzen.

Eine Rezension von Prof. Dr. Anke Fesenfeld