Pflegereport 2018

Pflegereport
 
Klie, T.
Pflegereport 2018
Pflege vor Ort – gelingendes Leben mit Pflegebedürftigkeit
Medhochzwei, Heidelberg, 2018, 316 S., 19,90 €, ISBN 978-386216-488-2 

Seitens der Kranken- und Pflegekassen werden seit einigen Jahren auch für die Fachwelt interessante Publikationen realisiert. Diese von der DAK Gesundheit herausgegebene Publikation gehört dazu. Hauptautor ist der Jurist, Gerontologe und Sozialexperte Thomas Klie, der seit vielen Jahren im Bereich der Versorgungsdebatte ausgewiesen ist. Drei Institute waren beteiligt: AGP Sozialforschung Freiburg, das Institut für Demoskopie Allensbach sowie OptiMedis Hamburg. 

Schwerpunkt dieses als Band 26 der „Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung“ erschienenen Buches sind regionale und örtliche Rahmenbedingungen für Angehörige und pflegebedürftige Personen. Datenbasis ist eine Bevölkerungsumfrage sowie die Auswertung von GKV-Routinedaten, welche durch regionale Infrastrukturanalyen, Fokusgruppeninterviews, Gespräche mit Versicherten sowie Good Practice-Beispiele ergänzt wurden. Wichtigstes Ergebnis: Trotz einheitlicher bundesgesetzlicher Regelungen unterscheidet sich die Versorgungssituation der Betroffenen in hohem Ausmaß. „Der Ort und die Region, in der ein Pflegedürftiger wohnt und lebt, entscheidet maßgeblich über die Versorgungsqualität und Gestaltungsoptionen für ein Leben mit Pflegebedarf.“ (S. 11) Beispielsweise verfügt Schleswig-Holstein über die höchste Heimquote, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hamburg über die niedrigste. Auch die Anzahl der Pflege-WGs ist sehr unterschiedlich verteilt. In Mecklenburg-Vorpommern kommen auf 100.000 Einwohner über 70 Jahre 118 Pflege-WGs (in Berlin gar 135), im Saarland gar keine, in Baden-Württemberg nur sieben. Das Engagement der örtlichen Politik (und der Landespolitik), sozioökonomische, epidemiologische und strukturelle Gebietsunterschiede sowie die Performance der jeweiligen Träger und Dienste mögen für eine Erklärung herangezogen werden. Insgesamt ist es aber mehr als erstaunlich, dass in weiten Teilen  Bayerns das durchschnittliche Alter bei Eintritt in die Pflegedürftigkeit auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte stark überdurchschnittlich bei 78,9 bis 82,6 Jahren und in Dresden und Teilen von Sachsen stark unterdurchschnittlich bei 69,3 bis 74,7 Jahre liegt. 

Das Buch umfasst insgesamt acht Kapitel: Neben einer kurzen Einführung (Kapitel 2) und einer Zusammenstellung der wichtigsten „Erträge und Denkanstöße“ aus dem DAK Pflegereport 2018 (Kapitel 3) befassen sich die folgenden Beiträge mit „Bildern und Erfahrungen der Pflege in Deutschland und in den Bundesländern“ (Kapitel 4), regionalen Unterschieden in der Pflegesituation und bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit (Kapitel 5) sowie dem „Pflegebedarf und Bedingungen guten Lebens“, auch unter Beachtung der verschiedenen Lebenswelten der Betroffenen (Kapitel 6). Regionale Infrastrukturanalysen verschiedener Kreisprofile (vom Emsland bis zum Saarpfalzkreis) fokussieren noch einmal genauer darauf, ob und in welcher Art und Weise die einzelnen Landkreise im Hinblick auf Pflege- und Versorgungsfragen „aufgestellt“ sind (Kapitel 7). 

Weiterführend ist das Kapitel 8, in dem ein pflegepolitischer Vorschlag formuliert wird, der auch seitens des Vorstands der DAK Gesundheit mitgetragen wird. Im Grunde geht es um eine ganz einfache Idee – Pflegekompetenzzentren. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Akzentsetzungen des 7. Altenberichts der Bundesregierung werden zwei Organisationsverständnisse von Pflegekompetenzzentren vorgestellt.
• Zum einen geht es um das Pflegekompetenzzentrum als örtliche Infrastruktureinrichtung im Rahmen der Daseinsvorsorge, verbunden z.B. mit der (Teil)-Umwandlung von Krankenhäusern, der Nutzung räumlicher und personeller Ressourcen sowie der Bedarfsdeckung hinsichtlich der Langzeitpflege vor Ort.
• Und zum anderen kann man die Pflegekompetenzzentren als Case Managementorganisation der Daseinsvorsorge verstehen, welche im Kern eine Verbesserung der Fallsteuerung und der Infrastrukturentwicklung im Blick haben.
Es wird eine Innovationsstrategie der Langzeitpflege auf den Tisch gelegt, die auch für die Quartiersentwicklung der Heime, die bessere Vernetzung der ambulanten Pflegedienste sowie eine stärkere Übernahme der Verantwortung seitens der Kommunen kompatibel ist.
 
Fazit: Insgesamt liegt mit der Veröffentlichung ein sehr interessantes und datengesättigtes Buch vor, das eher fachpolitische als fachwissenschaftliche Akzente setzen wird. Vor allem die Reflexion der Unterschiede in der Versorgung muss auf die landes- und bundespolitische Agenda. Denn letztlich sind mit Defiziten (und z.T. extremen Unterschieden) in der Versorgungspraxis auch gesellschaftspolitische Fragen verknüpft. Auf die Entwicklung rechtspopulistischer Parteien kann hier nur verwiesen werden. Insofern muss auch der Adressatenkreis dieser Veröffentlichung spezifiziert werden. Es geht dabei nicht nur um ein akademisches Publikum in der Gerontologie und der Pflegewissenschaft. Angesprochen sind vor allem Praxis und Politik. Gerade dem zuletzt genannten Bereich fehlt es an einer „Vision für eine gute Pflege“, die sich nicht allein in Bewältigungs- und Machbarkeitslogiken erschöpft, sondern eine Perspektive bieten kann. Gemeint ist vor allem die regionale Politik, denn hier findet am Ende Inklusion statt – oder eben nicht.
 

Eine Rezension von Univ.-Prof. Dr. Hermann Brandenburg
Lehrstuhl für Gerontologische Pflege
Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar