Österreich: Hearing zum Volksbegehren "Gerechtigkeit den Pflegekräften!" im Sozialausschuss

hearing volsbegehren österreich pflegeEnde Juni 2024 haben Expert/innen im österreichischen Sozialausschuss ihre Empfehlungen für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sowie zur allgemeinen Stärkung des Pflegesystems abgegeben. Der Hintergrund hierfür war das Volksbegehren "Gerechtigkeit den Pflegekräften!", das von 131.921 Personen unterzeichnet wurde und das eine signifikante Erhöhung der finanziellen Mittel für aktive Pflegekräfte fordert (2409 d.B.). Unter den geladenen Expert/innen befanden sich Elisabeth Anselm vom Hilfswerk Österreich, Silvia Rosoli von der Arbeiterkammer Wien, Helmut Lutz von Malteser Care, Katharina Meichenitsch aus dem Sozialministerium sowie Elisabeth Potzmann vom Österreichischen Gesundheits- & Krankenpflegeverband. Die Bevollmächtigten, die üblicherweise auch bei solchen Hearings Stellungnahmen abgeben können, waren jedoch nicht im Ausschuss vertreten.

Volksbegehren fordert mehr Geld für Pflegekräfte

Die Forderung nach mehr Geld für Pflegekräfte durch das Volksbegehren wird von den Initiatoren René Kališ und Marcus Hohenecker damit begründet, dass viele die Reaktion auf die besondere Belastung der Pflegekräfte während der Corona-Pandemie als ungerecht empfunden haben, da sie vor allem in Anerkennung und Applaus bestand. Selbst nach dem Ende der Pandemie bleibt die Situation laut den Unterzeichnern "suboptimal". Sie sehen den Gesetzgeber daher in der Verantwortung, faire Rahmenbedingungen zu schaffen, möglicherweise unter Einbeziehung der Sozialpartner, da sie Pflege als eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft betrachten.

Expert:innen halten kontinuierliche Anstrengungen im Pflegebereich für notwendig

Elisabeth Anselm vom Hilfswerk Österreich betonte zu Beginn, dass die Pflege eine kontinuierliche Herausforderung für die Politik über die kommenden Jahre und Jahrzehnte hinweg bleiben werde. Ihrer Ansicht nach ist dieser Bereich niemals abgeschlossen. Als zentrale Herausforderungen nannte sie die zunehmende Pflegebedürftigkeit in der Gesellschaft und die längere Pflegedauer im Durchschnitt. Anselm drängte auf dringende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, um Pflegekräfte im Beruf zu halten. Sie plädierte für klare Auslastungsvorgaben, angemessene Personalschlüssel, eine Reduktion der Bürokratie und die Integration der Langzeitpflege in das elektronische Gesundheitsakte-System (ELGA). Zudem müsse die Rekrutierung von Pflegekräften aus dem Ausland überarbeitet werden.

Silvia Rosoli von der Arbeiterkammer Wien verdeutlichte, dass Pflegekräfte sich vernachlässigt fühlen. Obwohl einige positive Schritte, insbesondere in der Ausbildung von Pflegekräften, unternommen wurden, seien die Reformen nicht bei den Betroffenen angekommen. Aus ihrer Perspektive sind eine effektive Personaleinsatzplanung, verlässliche Dienstpläne, erhöhte Personalkapazitäten, gesunde Arbeitszeitmodelle sowie zusätzlicher Urlaub für Pflegekräfte unerlässlich. Rosoli befürwortete außerdem die Einbeziehung von Pflegekräften in die Schwerarbeitspension und unterstrich, dass Investitionen in die Pflege und Gesundheitsversorgung auch ökonomisch förderlich seien, besonders in ländlichen Gebieten.

Helmut Lutz von Malteser Care wies darauf hin, dass die Praxis bereits vor 15 Jahren vor einem drohenden Personalmangel gewarnt hatte. Er betonte die Notwendigkeit schneller Maßnahmen für die Zukunft. Lutz hob die 24-Stunden-Betreuung als entscheidendes Element für die Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen hervor. Er plädierte für eine Reduzierung der Förderungsbarrieren und eine vereinfachte Anerkennung ausländischer Pflegeausbildungen. Zudem hielt er es für sinnvoll, dass nicht jedes Bundesland eigene Initiativen zur Gewinnung von Pflegekräften durchführt.

Katharina Meichenitsch, Expertin aus dem Sozialministerium, unterstrich, dass mehr als 1,5 Millionen Menschen in Österreich entweder als Pflegebedürftige, pflegende Angehörige oder Pflegekräfte direkt von der Thematik betroffen sind. Sie lobte das bestehende System der Pflegevorsorge in Österreich, betonte jedoch, dass aufgrund der demografischen Entwicklung eine kontinuierliche Weiterentwicklung notwendig sei. Besonders akut sei die Personalfrage: Bis zum Jahr 2030 würden laut aktuellen Prognosen durchschnittlich 7.000 Pflegekräfte pro Jahr fehlen. Meichenitsch sah die umgesetzten Pflegepakete als wichtige Schritte zur Bewältigung der Probleme an.

Elisabeth Potzmann vom Österreichischen Gesundheits- & Krankenpflegeverband unterstützte wie Silvia Rosoli die Einstufung der Pflegearbeit als Schwerarbeit. Sie forderte eine Harmonisierung der Personalausstattung zwischen den Bundesländern und betonte die Notwendigkeit, gut ausgebildeten Pflegekräften mehr Verantwortung zu übertragen. Potzmann kritisierte, dass gesetzliche Bestimmungen die Befugnisse der Pflegekräfte einschränken würden, indem sie anführte, dass eine Smartwatch mehr Kompetenzen habe als eine ausgebildete Pflegekraft. Um dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken, lobte sie zwar die Fortschritte in der Ausbildung, plädierte jedoch für eine Strukturreform mit einer Neuausrichtung der Leistungen.

Abgeordnete fragen Expert:innen nach empfohlenen Maßnahmen

Ernst Gödl und Michael Hammer von der ÖVP betonten, dass in der letzten Gesetzgebungsperiode bedeutende Fortschritte erzielt wurden. Hammer erkundigte sich bei Elisabeth Anselm, wie die durchgeführten Maßnahmen in der Praxis angenommen wurden. Anselm berichtete, dass die Erhöhung der Entgelte, die Ausweitung der Kompetenzen und die Offensive in der Ausbildung positiv aufgenommen wurden. Gödl fragte Anselm nach Empfehlungen zur Reduktion der Bürokratie im Pflegebereich. Sie betonte, dass eine verstärkte Nutzung der Digitalisierung und der Zugang zu relevanten Daten der Pflegekräfte sehr helfen würden. Auf die Frage nach der Stärkung der Pflege zuhause hin wies Anselm auf Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige und die Entwicklung neuer Wohnformen hin.

Gabriele Heinisch-Hosek von der SPÖ richtete an alle fünf Expert/innen die Frage, welche drei Maßnahmen sie sofort umsetzen würden, wenn sie die Entscheidungsgewalt hätten. Silvia Rosoli bekräftigte ihre Forderungen nach mehr Personal, einer effektiven Personaleinsatzplanung und stabilen Dienstplänen mit verbindlichen Personalvorgaben. Helmut Lutz sprach sich für eine Vereinfachung der Nostrifikationsverfahren und eine verstärkte Förderung der mobilen Pflege im häuslichen Umfeld aus. Katharina Meichenitsch betonte die Bedeutung von Prävention, verstärkter Zusammenarbeit und der Erhöhung der Bekanntheit von Unterstützungsangeboten für pflegende Angehörige. Elisabeth Potzmann wünschte sich eine Ausweitung der Befugnisse für Pflegekräfte, eine verbesserte Gesundheitsförderung und eine umfassende Strukturreform. Elisabeth Anselm berichtete, dass Pflegekräfte in Bezug auf ihre dringendsten Bedürfnisse immer wieder auf die Notwendigkeit von mehr Kolleg/innen hinweisen.

Weitere Themen: Schwerarbeitspension, Finanzierung und Daten zu Pflege

Christian Drobits wollte von Elisabeth Potzmann wissen, welche Änderungen für einen besseren Zugang von Pflegekräften zur Schwerarbeitspension notwendig seien. Sie würde sich wünschen, dass Stunden und nicht Tage zur Berechnung herangezogen werden, sagte die Expertin.

Auch Heike Grebien (Grüne) hatte sich nach ihrer Meinung zur Schwerarbeitspension erkundigt und gefragt, ob es nicht besser wäre, Altersteilzeit zu forcieren. Sie hätte gerne beides, antwortete Potzmann. Ralph Schallmeiner (Grüne) fragte Helmut Lutz, ob eine verstärkte Förderung von 24-Stunden-Betreuung eine Maßnahme zur Entlastung von pflegenden Angehörigen sein könne, was dieser bejahte.

Christian Ragger von der FPÖ sprach unter anderem über die Finanzierung der Pflege. Er kritisierte, dass aufgrund der verschiedenen Geldquellen von Bund, Ländern, Gemeinden und der EU ein unkoordiniertes Durcheinander bestehe. Silvia Rosoli von der Arbeiterkammer Wien hingegen befürwortete eine Bündelung dieser Finanzströme, die sie teilweise bereits durch den Pflegefonds realisiert sieht. Ragger richtete die Frage an Elisabeth Potzmann, wie sie zur Akademisierung der Pflege stehe. Potzmann entkräftete daraufhin die Vorstellung, dass eine Akademisierung negative Auswirkungen habe.

Fiona Fiedler von den NEOS zeigte ein besonderes Interesse an Daten. Von Silvia Rosoli wollte sie erfahren, wie die Karrierepfade von Pflegekräften aussehen, die oft nur kurz im Beruf bleiben. Rosoli erklärte, dass junge Menschen nach der Ausbildung meist in Krankenhäuser gehen und erst mit zunehmender Berufserfahrung in die Langzeitpflege wechseln. Sie betonte jedoch, dass es keine validen Daten dazu gebe, da Berufsangehörige solche Änderungen selbst melden müssten. Katharina Meichenitsch bat Fiedler um ihre Einschätzung bezüglich eines bundesweiten Entfalls von Studiengebühren im Pflegebereich. Meichenitsch erklärte, dass durch den Pflegefonds bereits jetzt die Möglichkeit bestehe, dass Länder Gelder zur Förderung von Ausbildungen verwenden könnten.


Zur Pressemitteilung: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20240627_OTS0237/expertinnen-fuer-mehr-personal-in-der-pflege?utm_source=2024-06-27&utm_medium=email&utm_content=html&utm_campaign=mailaboeinzel

Foto: stock.adobe.com – sdecoret

 

 

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